Hinter dem Drama junger Dschihadisten, Attentätern und Selbstmordattentätern stehen oft Familiendramen: Söhne, die den Anschluss an die europäische Gesellschaft und in eine berufliche Zukunft nicht gefunden haben und sich dann radikalisieren liessen. Doch welche Hintergründe haben diese Familien überhaupt? Und wo liegen die tieferen Ursachen der Radikalisierung?
(SSF/iDAF/im.) Wer sich als Muslim bekennt, muss nicht wirklich ein Muslim sein. Darauf macht jetzt das Institut für Demografie, Allgemeinwohl und Familie (iDAF) aufmerksam und weist auf die schon fast banale Realität in muslimischen Gesellschaften hin: „Moslem ist, wer sich dazu bekennt.“ Denn: Ein solches Bekenntnis ist in Ländern wie dem Iran oder der Türkei in der Öffentlichkeit ein Muss. Von kleinen Minderheiten abgesehen, sind dort offiziell fast alle Einwohner Muslime. Zuwanderer aus diesen Ländern gelten deshalb bei uns als „Muslime“, was sie aber nicht unbedingt sind, wie empirische Untersuchungen zeigen. Denn zum einen sind nicht-muslimische Minderheiten (Christen, Jesiden u. a.) unter Zuwanderern aus diesen Ländern überrepräsentiert, weil sie dort unter Verfolgung leiden. Zum anderen gibt es erstaunlich viele Zuwanderer aus „islamischen“ Ländern, die sich keiner Religion zugehörig fühlen. So gehören laut Schätzungen rund 20% der Migranten aus muslimischen Familien einer christlichen Konfession an.
Nichtreligiöse „Muslime“
Der Anteil dieser „Agnostiker“ unterscheidet sich einschlägigen Studien zufolge je nach Herkunftsregion: Unter den Türken liegt er bei ca. 15%, unter Irakern bei ca. 17%, unter Nordafrikanern bei ca. 20% und sogar 22% unter den Syrern. Noch wesentlich höher ist er unter Migranten aus dem Iran: Von ihnen fühlen sich fast 40% keiner Religion zugehörig. Und auch die „Muslime“ aus dem Iran sind ihrer Religion oft kaum verbunden, für drei Viertel der Iraner spielt Religion keine nennenswerte Rolle im Leben; sie sind damit noch säkularer eingestellt als die deutsche Bevölkerung insgesamt. Der Grund dafür ist evident: Es handelt sich oft um Gruppen, die nach der islamischen Revolution 1979 vor dem theokratischen Regime im Iran geflohen sind.
Für Muslime aus der Türkei, die das Gros der vier Millionen Muslime in Deutschland bilden und auch in der Schweiz einen hohen Anteil einnehmen, hat Religion einen wesentlich höheren Stellenwert, der sich vor allen an den Festtagen zeigt. Noch lebensprägender ist die Religion für Muslime aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Damit verbunden ist oft ein Frauen- und Familienbild, das westlichen Gleichheitsnormen widerspricht. Auch Muslime, die wenig religiös sind, folgen hier „traditionellen“ Leitbildern, was sich zum Beispiel in einer geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen zeigt.
Mangelnde Arbeitsintegration hat Folgen
Gleichzeitig sind oft auch die Arbeitsmarktchancen der Männer relativ schlecht, weil es an Qualifikationen fehlt. Das Problem der Bildungsdeprivation beschränkt sich aber nicht, wie manchmal unterstellt wird, vorwiegend auf „strenggläubige“ Muslime, die sich in „Parallelgesellschaften“ absondern. Davon betroffen sind auch eher säkulare und in ihren Sitten liberale Gruppen: So hat mehr als die Hälfte der Aleviten, deren Frauen bekanntlich kein Kopftuch tragen, keinen oder nur einen niedrigen Schulabschluss. Das ist bemerkenswert, denn in der öffentlichen Diskussion wird Liberalität/Freizügigkeit mit „Integration“ assoziiert. Für den sozialen Aufstieg bietet sie aber keine Gewähr, dieser hängt entscheidend an den Bildungsanstrengungen. Und umgekehrt ist (formale) Bildung auch keine Garantie für „Integration“, wie studierte Selbstmordattentäter zeigen. Welche Dramen hinter den verlorenen Söhnen (und Töchter) aus solchen Familien stehen, kann man nur ahnen.
Mehr Aufklärung und Diskurs über Gewalt in den Büchern des Islam
Das mögen Einzelfälle sein, die aber grundsätzliche Fragen nach dem Nährboden von religiösem Fanatismus und Gewalt im Koran und den Schriften des Islam aufwerfen. Hierüber weiß man immer noch zu wenig, hier wird immer noch zu wenig aufgeklärt. Ist das ein Tabu im öffentlichen Diskurs? Mehr Aufklärung auch in diesem Punkt würde die Diskussion relativieren und versachlichen. Denn hier dürfte einer der massgeblichen Gründe liegen für das Unbehagen in Teilen der Bevölkerung gegenüber muslimischen Zuwanderern oder dem Islam allgemein.