Der Bundesrat hat am 21. Mai 15 das Departement des Innern beauftragt, ein auf drei Jahre befristetes Gesetz zur Förderung der familienexternen Kinderbetreuung auszuarbeiten und in die Vernehmlassung zu schicken. Es soll vor allem die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ erleichtern.
(SSF/im./AW) Mit seinem Entscheid kommt der Bundesrat zweifellos den Wünschen der Wirtschaft entgegen, die angesichts der Probleme bei der Umsetzung Massenweinwanderungsinitiative noch mehr Mütter an den Arbeitsplatz rufen will. Hier müssen die Wünsche von Organisationen, die den Fokus auf die Bedürfnisse der Kinder richten, zurückstehen. Und dennoch bleibt wichtig, das deren Stimmen nicht ungehört verhallen. Vor allem wenn sie unpolemisch und wissenschaftlich begründet erhoben werden.
In einem Aufsatz hat jetzt der Erziehungswissenschafter und Autor Albert Wunsch (die Verwöhnungsfalle, Abschied von der Spasspädagogik ...) auf die Auswirkungen der Betreuung in Krippen hingewiesen. Ein wichtiges Fazit lautet zum Beispiel: Die Stressbelastung – mit späteren psychosozialen Auswirkungen – der Kinder hängt gar nicht so sehr von der Qualität der Krippe ab. Die Verhaltensauffälligkeiten bei diesen Kindern sind auch in qualitativ guten Krippen hoch. Anderseits dämpfen die Studien Hoffnungen auf bessere Sprachentwicklung von Migrantenkindern oder Förderung des sozialen Verhaltens. Wunsch zitiert dazu den renommierten Familientherapeuten und Gründer von Familylab International, Jesper Juul, mit den Worten: «Kinderkrippen sind nicht für das Wohlbefinden der Kinder geschaffen worden».
Ein Kriterienkatalog
Dennoch rät Albert Wunsch nicht generell von der Krippenbetreuung ab, gibt Eltern aber ein paar Testfragen mit, mit deren Hilfe sie ihre Entscheidung fällen bzw. den richtigen Zeitpunkt für die Betreuung und die richtige Einrichtung wählen sollten:
„Kommt ein Kleinkind direkt nach der Mutterschutz-Zeit (eine Säuglings-Schutz-Zeit gibt es noch nicht) oder – eine entsprechende Reife vorausgesetzt – erst im Alter von gut zwei Jahren in die Betreuung?
Wie zeitlich-emotional einfühlsam verlief bzw. verläuft für den Säugling bzw. das Kleinstkind die Phase des Hineinfindens in die Betreuungssituation?
Für wie viele Stunden täglich und wie viele Tage in der Woche ist ein Kleinkind in der Betreuung?
Existiert eine – belegbar und nicht deklariert – gute oder indifferente Mutter-/Elternbindung?
Sind Vater oder Mutter bei auftretenden Problemen schnell erreich- und verfügbar?
Achten Eltern und Betreuungspersonal auf ein abgestimmtes erzieherisches Vorgehen und informieren sie sich täglich gegenseitig über Entwicklungsschritte oder Vorfälle? (Das Personal beklagt ständig, dass Eltern beim Hinbringen und Abholen gar keine Zeit für wichtige Infos haben)
Wie viel belegbare Bindungs-/Umgangs-Zeit erhält das Kleinstkind innerhalb der Familie?
Handelt es sich um ein Angebot mit hoher oder durchschnittlicher Qualität und durch welche Kriterien wird dies deutlich?
Ist die Konstanz der Ersatz-Bezugspersonen innerhalb der Einrichtung gross oder wechseln diese häufig in der Kleinkindphase? (Bei Schichtdienst ist das unabhängig von einem möglichen Stellenwechsel täglich der Fall.)“
Aufenthaltsdauer entscheidend
Wichtig ist laut Albert Wunsch vor allem die Aufenthaltsdauer in der Krippe. Denn: „Die wichtigsten Befunde weisen in dieselbe Richtung: Je früher und länger Kleinkinder in der Krippe oder anderen ausserhäuslichen Betreuungs-Diensten verbringen, desto umfangreicher sollte mit mangelhafter individueller Förderung bzw. auftretenden Störungen gerechnet werden.“ Wer die Wahl hat, das Kind einer Tagesmutter zu geben, sollte diese Variante in der Regel vorziehen. Allerdings sei auch diese Betreuungsmöglichkeit oft mit Verlustängsten vonseiten des Kindes belastet.
Jay Belsky, Psychologieprofessor an der University of California in Davis, USA ,ruft daher dazu auf, in der ganzen Diskussion, die er auch schon als «Krippenkrieg» bezeichnete, die humanitären Überlegungen nicht zu vergessen: «Was wollen nicht nur Mütter, Väter, Politiker und die Gesellschaft, sondern was wollen die Kinder?»
Albert Wunsch: Intensive Krippen-Betreuung als latent destabilisierender Einfluss
Dr. Albert Wunsch ist Psychologe, Diplom-Sozialpädagoge, Diplom-Pädagoge und promovierter Erziehungswissenschaftler. Er ist Vater von 2 Söhnen und Grossvater von 3 Enkeltöchtern. Seine Bücher: Die Verwöhnungsfalle, Abschied von der Spaßpädagogik, Boxenstopp für Paare und: Mit mehr Selbst zum stabilen ICH - Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung, lösten ein starkes Medienecho aus.