Familien haben heute viele zusätzliche Optionen, wie sie ihr Zusammenleben gestalten. Aber es gibt neben neuen Freiräumen auch neue Einschränkungen. Ehe und Kinder behalten den hohen Stellenwert und Väter sind präsenter bei der Erziehung. Der Soziologe Fançois Höpflinger sprach dazu am 19. Juni 2015 an der Uni Fribourg.
Verändert haben sich die zentralen Werte der Familien. Liebe, Nähe und Fürsorge stehen gemäss Umfragen ganz oben auf der Werteskala des familialen Glücks. Die Dauerhaftigkeit der familiären Beziehungen ist dagegen in der von François Höpflinger erwähnten Studie kein Thema, wenn es um Glück geht. Die Beziehungsqualität stehe vor der Rechtsform. Das ermögliche heute eine grosse Vielfalt von Familienformen, welche Aufgaben wie Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen übernehmen.
Formen idealer Partnerschaft
Eine Folge der Betonung auf der Beziehungsqualität ist das Verständnis der Familie als einer emotional geprägten Intimgemeinschaft. Aber nicht einer Gemeinschaft, die sich nach aussen abschliesst. Der Kontakt zu einem engeren familiären Umfeld, insbesondere zu Freunden, ist für die Lebensqualität von Paaren und Familien ebenso wichtig wie die Beziehungsqualität innerhalb der Familie, wie Höpflinger mit Studien belegt. Denn eine zu enge Paarbindung wird als problematisch gesehen. Dennoch werden hohe Erwartungen an die Partnerschaft gestellt.
Zu einer „idealen Partnerschaft“ gehören heute laut einer Studie der Konrad Adenauer Stiftung von 2014 „Exklusivität, Vertrauen, Dauerhaftigkeit, Liebe, Treue, Offenheit und Aufrichtigkeit sowie wechselseitige verlässliche emotionale, praktische und materielle Unterstützung“. Parallel dazu gibt es die Entwicklung vom „Fusionspaar“ zum „Assotiationspaar“. Dieses strebt eine teilweise Autonomie und Unabhängigkeit voneinander an. Beide bleiben eigenständige Subjekte mit eigenen Bedürfnissen, was sich zum Beispiel im voneinander unabhängigen Wohnen – oft über grosse Distanzen hinweg – äussert. „Doch nach wie vor ist die Ehe ein Standard, an dem sich Menschen in ihrer Lebensplanung orientieren“, stellen die Verfasser der Konrad Adenauer Studie „Familienbilder in Deutschland“ fest.
In der Gestaltung der Familie, insbesondere der Erziehung, sind die Paare partnerschaftlicher geworden. Der Erziehungsstil der Väter unterscheidet sich oft nicht mehr von demjenigen der Mütter. Es ist weithin selbstverständlich geworden, dass sich Väter an der Erziehung beteiligen und mit den Kindern spielen. Eltern investieren sich stark in ihre Kinder.
Moderatoren der Ausseneinflüsse
Die Kinder erhalten mehr Aufmerksamkeit. Während die gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber Familien mit Kindern laut Höpflinger „rücksichtsloser geworden sind“, was der Soziologe auf die „entgrenzte Arbeitswelt“ und die „Ökonomierung der Welt“ zurückführt, hat der Erziehungsstil „fördern und fordern“ an Stellenwert gewonnen. Mehr als 50% der Eltern erziehen heute nach diesem Motto. Parallel dazu ist es zu einer „Verschulung und Verhäuslichung“ in der Kindheit und dem frühen Jugendalter gekommen. Es gibt nur noch wenige öffentliche Gestaltungsräume für Jugendliche. Immer öfter ist es der Bahnhof. Parallel dazu hat die Medialisierung der Freizeit überhand genommen, wobei das Handy den Hauptanteil vor Internet und MP3 einnimmt. Der Sozialisationseinfluss der Eltern hat abgenommen. Ihre Hauptfunktion ist die der „zentralen Bezugspersonen zur Moderation von Ausseneinflüssen“, so Höpflinger.
Grosseltern und Staat unterstützen Familien
Wo Grosseltern vorhanden sind, was weit häufiger als früher der Fall ist, haben diese eine höhere Stellung und die Beziehungen zu ihnen sind intensiv. Noch nie konnten Kinder so lange Beziehungen zu Grosseltern pflegen wie heute. 86% der Kinder kennen heute gemäss Umfragen zumindest eine Grossmutter.
Dennoch plädiert der Soziologe Höpflinger für einen Ausbau von professionellen Strukturen zur Begleitung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Denn nur so „können die Familien ihre Stärken ausspielen“, so der Soziologe. Er fordert mehr professionelle Angebote auch für die Pflege von kranken und pflegebedürftigen Menschen und finanzielle Unterstützung in wirtschaftlich schwierigen Familiensituationen. Er verweist darauf, dass gerade die Länder mit gut ausgebauten Unterstützungsangeboten eine höhere Kinderzahl pro Frau aufweisen.