SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr hat den Bundesrat mit einem Postulat beauftragt, das Familienrecht zu revidieren und den modernen Verhältnissen und Erwartungen anzupassen. Seitdem überbieten sich Parlamentarier mit Ideen, was zu tun sei. Auch der Bundesrat hat sich der Aufgabe angenommen. Wie geht es nun weiter?
Die Schweizerische Akademie der Geistes und Sozialwissenschaften (SGAW) hat am 23. Juni in Bern eine Auslegeordnung erstellt und Vorschläge und Ideen präsentiert. Ein interdisziplinär zusammengesetztes Panel hat die Probleme und Herausforderungen beschrieben.
Der Wunsch nach freier Liebe und Lebensgemeinschaften ohne rechtliche Verpflichtungen führte 1972 im Kanton Zürich als erstem Kanton zur Aufhebung der Konkubinatsverbots. Neue Formen des Zusammenlebens von der Ehe auf Distanz (Living apart together) bis zu Patchwork- und Regenbogenfamilien nehmen zu. Nun kommt der Ruf, diesen Lebensgemeinschaften analog zur Ehe ein rechtliches Gewand zu geben, wobei die Forderungen homosexueller Paare, eine Ehe zu schliessen und Kinder zu adoptieren, Priorität beanspruchen. Parallel dazu steht der Vorschlag des Bundesrats im Raum, auch heterosexuelle Paaren eine rechtliche Struktur zu verpassen, ob sie das wollen oder nicht. Oder die Möglichkeit einer Ehe light analog dem pacte civil de solidarité (PACS) in Frankreich. Parallel dazu macht sich der Gesetzgeber Gedanken über Sorge- und Unterhaltspflichten auch bei Paaren in freien Lebensgemeinschaften.
"Phase der andauernden Revision"
Doch das Familienrecht droht zum Flickwerk zu verkommen. Davor warnt jedenfalls David Rüetschi, Leiter des Fachbereiches Zivilrecht beim Bundesamt für Justiz. Revisionen von Teilen des Familienrechts sind seit 1957 im Gange. Im Laufe der Jahrzehnte wurden das Adoptionsrecht, das Kindesrecht, das Eherecht, das Scheidungsrecht und das Vormundschaftsrecht revidiert. Die Revisionen beschäftigten Expertenkommissionen während Jahren. Sie führten zur Beseitigung der Diskriminierung ausserehelicher Kinder, zur Gleichstellung der Geschlechter und grundsätzlich zur Stärkung des Individuums, wie Rüetschi in Bern darlegte. Zudem wurden Kinder als Rechtssubjekte anerkannt. Das etappenweise Vorgehen erlaubte die Realisierung einheitlicher Konzepte und kohärente Regelungen auch für komplizierte Situationen.
Heute befinden wir uns in der „Phase der andauernden Revision“, so das Fazit von David Rüetschi. Anstelle der Wissenschaft sei das Parlament zum Motor der Revision geworden. Oft löse bereits ein Artikel in einer Boulevardzeitung einen neuen parlamentarischen Vorstoss aus. Dazu komme, dass es an einem gesellschaftlichen Leitbild für die Familie fehle und die individuellen und partnerschaftlichen Lebensformen sehr vielfältig geworden seien.
Verlust an Rechtssicherheit
Obwohl die Situation komplex geworden ist, ist das Tempo der Revisionen gestiegen mit der Folge, dass die Revisionen bald wieder revidiert werden müssen. Rüetschi spricht von der Fokussierung auf den „Unfall“ statt auf ein funktionierendes System. Dennoch stehe die Forderung im Raum, jeden Fall gerecht zu regeln, wobei die Bedürfnisse und Ansprüche sehr unterschiedlich seien. Zudem würden oft rückwirkende Regelungen gefordert.
Für Rüetschi hat das zur Folge, dass die grossen Würfe der Gesetzgebung der Vergangenheit angehören. Er beobachtet einen „Verlust an systemischer Kohärenz“ und beobachtet die Gefahr von Überreaktionen, Schnellschüssen und Widersprüchen. Generell komme so zu einem Verlust an Rechtssicherheit und an Qualität bei der Gesetzgebung.