Stabilität und Verlässlichkeit sind wichtige Qualitätsanforderungen für Familien. Doch was ist nach gültiger Definition eine Familie? Und gibt es Qualitätskriterien, welche auch die Entwicklung und das Wohl der Kinder bestimmen? Ein Beitrag des deutschen Erziehungswissenschafters und Buchautors Albert Wunsch.
Lean-Mannagement, TQM, Controlling, Qualitäts-Cirkel, diese Begriffe prägen seit Jahren die Diskussion zur Optimierung von Arbeitsprozessen in Betrieben. Es existieren auch reichlich Qualitätshandbücher, Instrumente zur Wirksamkeitsüberprüfung sowie Nachschlage-Manuale in den Feldern der Sozial- und Jugendhilfe. Ebenso beschreibt der Schulbereich manches Papier unter den Aspekten ‘Neues Leitbild’ oder ‘Lernkultur’. Bisher wurde jedoch weitgehend ausgeblendet, einen prüfenden Blick auf die Qualität der vielen heute vorfindbaren so genannte Familien-Formen zu richten. Ist dies Zufall oder opportunistischer Tribut an den Zeitgeist? Wie dem auch sei, eine kontinuierliche Überprüfung von Effektivität und Effizienz, wie sie heute im Wirtschaftsleben selbstverständlich ist, sollte jedenfalls nicht vor den Toren der vielen ‘Familien-Unternehmen’ halt machen. Denn die Frage, ob eine so genannte klassische oder eher eine moderne Familie - was immer auch damit gemeint sein mag - optimalere Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern bereitstellt, ist zukunftsweisend für die nachwachsende Generation und den Wirtschaftsstandort Deutschland. Geht es bei ‘Produktion, Handel und Dienstleistung’ ums ‘Wirtschaftswachstum’, so steht im Bereich ‘Erziehung und Leben lernen’ das ‘Sozialwachstum’ im Zentrum. Beiden Faktoren werden so zum Indikator für die Stabilität einer Gesellschaft. In der Bemessung des ‘Brutto-Sozial-Produktes’ fließt - bei differenzierter Betrachtung - beides zusammen.
Die angemessene Biegung einer Banane wird durch die EU ebenso genormt wie die einheitliche Tischhöhe zwischen Mittelmeer und Nordsee. Auch die bundesdeutsche Regelungswut treibt häufig genug absonderliche Blüten. Aber beim Thema Qualitätsanforderungen zur Erziehung in der Familie wird eher ‘das Schweigen der Lämmer’ in Szene gesetzt. Wie unscharf oft Begriffe verwendet werden, wird durch die folgende Sequenz einer Podiumsdiskussion offenkundig:
> Familie ist da, wo Kinder leben!
So das Statement einer Partei-Vertreterin. (Übrigens wird diese Formulierung von den unterschiedlichsten Parteien gleichermaßen genutzt). Dazu meine Entgegnung:Dann leben die unzähligen Kinder in den Slums der Welt quasi als Groß-Familie.
Leichte Irritation, dann der nächste Versuch, versehen mit der Randbemerkung, dass da doch wohl nicht auszusetzen wäre und dies auch die Auffassung der momentanen Bundesregierung widerspiegle:
> Familie ist da, wo Erwachsene mit Kindern leben!
Aber auch diese Formulierung löste ein deutliches Unverständnis bei mir aus. Bevor ich mich jedoch äußern konnte, die Situation im Podium wirkte schon leicht angespannt, kam folgende Verdeutlichung: „Wollen Sie hier etwa konservatives Denken propagieren und dabei die vielen modernen Familienformen ausgrenzen? Schließlich gibt es verschiedene Familien-Modelle.“
Von mir kam einen deutliches „Nein!“ Ich wolle nur Klarheit, denn wenn diese Beschreibung so stehen bliebe, dann wären die unter einem Dach mit Kindern lebenden Missbraucher, Vernachlässiger und Gewaltanwender ja eine traute und auch zu fördernde Familie. Hier nun meine Definition:
> Familie ist da, wo Eltern und Kinder in gegenseitigem Respekt eine in die Zukunft weisende Verantwortung füreinander übernehmen,
in Bezug zu den Kindern, die Erziehungsverantwortung,
als gegenseitige Beistandschaft in Freud, Leid und Not!
in Bezug zu den Eltern, eine Mitverantwortung für das Leben im Alter
Es geht also keinesfalls um Haarspalterei, sondern um eine punktgenaue Erfassung dessen, was im Zentrum einer gesellschaftlichen Wertschätzung und Förderung stehen soll.
Auf der Sprachebene wird der Kampf der Gesinnungen offensichtlich. So geben sich Menschen, die in eher instabilen Formen zusammen leben, per Selbstetikettierung das Vorzeichen „modern“ und beschreiben sich als bunt, facettenreich und lebendig. Im Gegenzug wird versucht, stabile familiäre Lebensformen – erst recht die Ehe – als alt, konservativ und nicht mehr lebbar abzuqualifizieren. Die wichtige Frage, welche Familien wie gezielt zu fördern sind, bleibt bei einem solch undifferenzierten Schlagabtausch offen.
So wird die bewährte und erfolgreiche Vater – Mutter – Kind – Verbundenheit bekämpft, während die sich – oft aus Enttäuschung, Not und Hoffnung – irgendwie entwickelten anderen Formen eines Zusammenlebens idealisiert werden. Neutraler soll die Aussagen von Politiker wirken, wenn sie die unterschiedlichen Arten des Zusammenlebens von Erwachsenen mit Kindern als „verschiedene Familienmodelle“ bezeichnen. Aber was verbirgt sich hinter diesen mehr oder weniger schillernden Etikettierungen. Was sind die Gründe, dass sich für ein gemeinsames Leben entschieden habende Paare trennten. Ist es Unvermögen, die Suche nach Neuem, eine zu geringe Fähigkeit im Umgang mit Konflikten, eine zu ausgeprägte Selbstsucht? Dass es auch etliche Paare bzw. Eltern gibt, die sich nicht aus Fahrlässigkeit trennen, ist trauriger Alltag. Bei diesen wird jedoch selten eine Glorifizierung der neu gefundenen Form eines (Zusammen)-Lebens jenseits der Erst-Familie offenbar. Frei gewählt hat in der Regel eine solche Situation niemand. Daher ist es auch nicht zielführend, dass Politiker der Tragik von Scheitern und Neubeginn einen Orientierung gebenden sollenden ‚Modell-Status‘ einräumen.
Wandel als Anpassung an den Zeit-Geist oder als zu begleitender Steuerungs-Prozess
Es wird Konsens existieren, dass die politisch Verantwortlichen stetig Wandlungs-Prozesse zur Kenntnis nehmen müssen. Aber mit welcher Zielsetzung wird auf diese Veränderungen reagiert? Versteht sich Politik als Steigbügelhalter einer Anpassung an den Mainstream oder als Gestalter optimaler Voraussetzungen eines gelingenden und stabilen – durch Achtung und Wertschätzung geprägten – Zusammenlebens? Es verwundert, mit welch intellektueller Begrenztheit hier reagiert bzw. regiert wird. Denn wenn im Bereich der Familie Anpassung zum bevorzugten Handlungs-Prinzip wird, dann sind beispielsweise Aktionen zum Aufspüren von Steuerhinterziehungen genauso einzustellen, wie Brandschutz-, Geschwindigkeits- oder Alkohol-Kontrollen, wenn ein Verhalten nachweislich dem Mehrheits-Trend entspricht. Wozu wird also von wem entschieden, sich hier anzupassen oder dort gezielt gegenzusteuern?
Der Bundesrat in der Schweiz hat sich eindeutig geoutet und lässt prüfen, wie sich das aktuelle Familienrecht an die „neue gesellschaftliche Realität anpassen lässt“. Das Justizdepartement (EJPD) von Simonetta Sommaruga ließ dazu bereits ein Gutachten erstellen. Das Papier der Basler Privatrechtsprofessorin Ingeborg Schwenzer enthält laut der „NZZ am Sonntag“ einige radikale Vorschläge. Sie fordert, dass keine Familienform vom Recht bevorteilt werden darf. Die Ehe soll deshalb zu einer weitgehend symbolischen Verbindung abgewertet werden, die keine weiteren Familienrechte mehr begründet als andere Formen des Zusammenlebens. Relevant für Rechte und Pflichten in Bezug auf Familie, Kinder, Unterhalt oder Adoption wäre stattdessen die „Lebensgemeinschaft“. Diese definiert Schwenzer als Partnerschaft, die mehr als drei Jahre gedauert hat, in der ein gemeinsames Kind vorhanden ist oder in die zumindest ein Partner erhebliche Beiträge investiert hat. Zudem wird vorgeschlagen, geltende Ehehindernisse abzubauen: Auch Homosexuelle sollen künftig heiraten dürfen, und das Inzestverbot sowie das Verbot polygamer Ehen sei kritisch zu hinterfragen. „Die Zunahme der Zahl an Mitbürgerinnen und Mitbürgern islamischen Glaubens wird in der Zukunft auch die Diskussion über polygame Gemeinschaften erfordern“, heißt es im Gutachten. Außerdem soll die obligatorische Zivilehe abgeschafft werden. Ebenfalls überholt sei die Vorstellung, dass ein Kind nur zwei verschieden-geschlechtliche Eltern haben könne. Soweit eine Meldung vom 27.04.2014.
Welche Form des Zusammenlebens hat welche Auswirkung auf die Kinder?
Unter der Überschrift „Auf die Familie kommt es an“ rücken drei US-amerikanische Wissenschaftlerinnen die Wirkung unterschiedlicher Familienstrukturen auf die Entwicklung von Kindern ins Blickfeld. Sie überprüften, welchen Einfluss die jeweilige Familienstruktur auf die schulische und soziale Entwicklung des Kindes hat. Sie erläutern: „Bei einer traditionellen Familienstruktur handelt es sich um Haushalte mit einem verheirateten Elternpaar und ihren leiblichen Kindern. Zu den nicht traditionellen Strukturen gehören Familien mit einem leiblichen Elternteil und einem Stiefelternteil, einer alleinerziehenden Mutter oder alleinerziehendem Vater, nicht eheliche Lebensgemeinschaften oder andere Verwandte, die für die Kinder sorgen.“ Sie begründen ihre Arbeit damit, dass es dringend erforderlich sei zu untersuchen, welchen Einfluss die jeweilige Familienstruktur auf die schulische und soziale Entwicklung des Kindes hat. Die meisten Forschungsergebnisse verdeutlichten, dass Kinder aus so genannten traditionellen Familien bessere Schulleistungen, eine ausgeprägte Ambiguitäts-Toleranz, geeignetere Konfliktlösungs-Modelle, eine grössere Zielstrebigkeit und bessere Voraussetzungen zur Lösung von Problemen oder Herausforderungen hatten.
Im Gegensatz dazu stellte sich heraus, ‚dass Kinder in nicht traditionellen Familienstrukturen häufiger unter Stress, Depressionen, Angst und Minderwertigkeits-Gefühlen litten‘. „Der negative Einfluss der nicht ehelichen Lebensgemeinschaften auf das kindliche Wohlergehen war bei den Ängsten und Depressionen besonders hoch.“ Außerdem zeigten diese Jugendlichen aus nicht traditionellen Familien schlechtere schulische Leistungen. „Bei Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren aus nicht intakten Familien bestand eine zwei- bis zweieinhalbfach höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie sexuell aktiv waren, als bei Jugendlichen aus intakten Familien.“ Kinder, die mit ihren leiblichen Eltern aufwachsen, werden von den Eltern am stärksten unterstützt. „Kinder aus Stief-Familien berichten über die geringste Unterstützung.“ Auch die hier vorgelegten Fakten zeigten in Kurzform auf: „Es besteht kein Zweifel darüber, dass Kinder aus nicht traditionellen Familien benachteiligt sind.“
Werden Lehrkräfte auf Problem-Schüler angesprochen, wird in der Regel auf die vielfältigen Verhaltens-Störungen in der Folge von Trennung und Scheidung hingewiesen, da das elterliche Auseinandergehen häufig einen tiefen Selbstwertverlust der Kinder und Jugendlichen auslöst. Die Psychologin Judith Wallerstein aus Kalifornien verfolgte 25 Jahre lang das Leben von 93 Kindern aus zerbrochenen Ehen. Dabei stellte sich heraus, dass die Scheidung der Eltern großen Einfluss auf das spätere Liebesleben der Kinder hat. So ist es nicht verwunderlich, dass 60 % dieser Ehen wieder geschieden wurden, in der Vergleichsgruppe waren es nur 25 %. Außerdem hatten nach dieser Studie 25 % der Scheidungswaisen noch vor ihrem 14. Geburtstag Kontakt mit Alkohol und Drogen, in der Gruppe der Vergleichskinder waren es nur 9 %. Die Psychologin nimmt diese Ergebnisse als Beweis dafür, dass eine Scheidung substantielle und langfristige Folgen hat.
Eine kürzlich erschienene Studie des deutschen Robert-Koch-Instituts untersuchte, wie weit die Familienverhältnisse mit der Anzahl psychisch erkrankender Kinder korrelieren. ‚Es zeigte sich, dass aus ‚intakten‘ Familien mit Vater und Mutter die Rate etwa bei 12 % liegt, bei Kindern alleinerziehender Eltern oder aus Patchwork-Familien jedoch auf etwa 24 % ansteigt’. Eine im Oktober 2012 veröffentlichte Studie der Universität Duisburg-Essen ging der Frage nach, wie unterschiedlich sich die Trennung von Eltern auf Jungen und Mädchen auswirkt. Danach gibt es „zum Teil erhebliche Unterschiede. So zeigt die Untersuchung, dass Jungen unter der Trennung ihrer Eltern vor allem im Bezug auf ihre schulischen Leistungen sehr viel mehr ‚leiden‘ als Mädchen. Die Studie ergab auch, dass erwachsene Scheidungskinder, die die Scheidung der Eltern im Alter bis zu 18 Jahren miterlebt haben, einer späteren Heirat ablehnender gegenüberstehen als erwachsene Studierende, die in intakten Familien aufgewachsen sind.“
Die Aufgaben einer zukunftsorientierten staatlichen Familien-Politik
Demnach müsste das Haupt-Kriterium für politische Entscheidungs-Träger sein, erwartbaren Schaden von Kindern und Familien abzuwenden und Förderliches zu manifestieren. Demnach ist es die Pflicht des Staates, die Familien als Keimzelle der Gesellschaft zu schützen und durch gute Rahmenbedingungen gezielt zu fördern, wie dies für die Bundesrepublik Deutschland in der Verfassung geregelt ist. Hierzu der aus der Schweiz stammende renommierte Familienforscher Franz-Xaver Kaufmann: ‚Wenn in einer Gesellschaft jedoch stabile und eher instabile Formen des Zusammenlebens von Erwachsenen mit Kindern als frei wählbar betrachtet werden, dann hat der Staat seine besondere Unterstützung jenen zu geben, welche die grösste Chance für eine optimale Erziehungswahrnehmung bieten‘.Denn, so ein Zitat aus dem Buch „Abschied von der Spasspädagogik“: „Kinder sind das Erbgut einer Gesellschaft und starke Familien ihr Rückgrat“.
Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17
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