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Menschenwürde – oder wie ein zentraler Begriff umgedeutet wird


In westlichen Gesellschaften herrscht keine Einigkeit mehr darüber, was unter dem zentralen Begriff der Menschenwürde zu verstehen ist, der im Grundgesetz Deutschlands (und in der Bundesverfassung der -Red.) und vielen internationalen Abkommen einen zentralen Stellenwert einnimmt. Ein Kommentar dazu des deutschen Ethikers Ulrich Eibach, ergänzt durch thesenartige Zusammenfassungen der SSF-Redaktion.

1. Die re­li­gi­ös-me­ta­phy­si­sche Be­grün­dung der Men­schen­wür­de ist ge­sell­schaft­lich nicht mehr kon­sens­fä­hig. Dar­aus ist ein Kon­zept ent­stan­den, das den Le­bens­wert von der Le­bens­qua­li­tät ab­lei­tet.

(SSF/i-DAF/im.) Die Sä­ku­la­ri­sie­rung und die Plu­ra­li­sie­rung der Le­bens- und Wert­vor­stel­lun­gen haben es mit sich ge­bracht, dass jede re­li­gi­ös-me­ta­phy­si­sche und tran­szen­den­te Be­grün­dung der Men­schen­wür­de als ra­tio­nal nicht be­gründ­ba­re und ge­sell­schaft­lich nicht mehr kon­sens­fä­hi­ge „Son­de­re­thik“ ab­ge­lehnt wird. Wenn das dies­sei­ti­ge Leben aber kein „Jen­seits“ mehr hat, dann wird auch un­klar, wel­chen Sinn ein Leben hat, das von schwe­rer un­heil­ba­rer Krank­heit und ce­re­b­ra­lem „Abbau“ ge­kenn­zeich­net nur noch auf sei­nen Tod zu­läuft. Un­klar ist dann auch, ob es sich bei die­sem Leben noch um ein „le­bens­wer­tes“ Leben han­delt. Ins­be­son­de­re Phi­lo­so­phen und auch Ju­ris­ten der em­pi­ris­tisch-po­si­ti­vis­ti­schen Denk­rich­tung be­haup­ten, dass Mensch im Sinne von Per­son nur das­je­ni­ge bio­lo­gisch von Men­schen ab­stam­men­de Leben sei, das über em­pi­risch fest­stell­ba­re kör­per­li­che und vor allem see­lisch-geis­ti­ge Qua­li­tä­ten (wie Selbst­be­wusst­sein, be­wuss­te In­ter­es­sen, Au­to­no­mie usw.) ver­fü­ge. Men­schen­wür­de komme nicht dem gan­zen mensch­li­chen Leben, dem „Le­bens­trä­ger“ (=Or­ga­nis­mus, Leib­lich­keit), son­dern nur die­sen geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten zu, die weit­ge­hend un­ver­sehr­te Hirn­funk­tio­nen zur Vor­aus­set­zung haben. Wer­den die Funk­tio­nen des Ge­hirns mehr oder we­ni­ger schwer ge­schä­digt, so min­dert sich die Men­schen­wür­de ent­spre­chend und die Men­schen­wür­de und mit ihr das Recht auf Schutz des Le­bens ge­ra­ten sogar in Ver­lust, Leben werde zum bloß „bio­lo­gisch-ve­ge­ta­ti­ven“ Leben, wenn der Mensch sein Selbst­be­wusst­sein ver­liert. Man ver­tritt also das Kon­zept einer nach Le­bens­qua­li­tä­ten ab­ge­stuf­ten Wer­tig­keit des Le­bens und un­ter­schei­det grund­sätz­lich zwi­schen einem bloß bio­lo­gisch mensch­li­chen Leben ei­ner­seits, dem keine Men­schen­wür­de zu­kommt, und per­so­nal-mensch­li­chem Leben an­de­rer­seits, dem auf­grund sei­ner kör­per­li­chen, vor allem aber see­lisch-geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten Men­schen­wür­de zu­kommt, ge­ge­be­nen­falls aber auch nur in einer je nach den em­pi­risch auf­weis­ba­ren Le­bens­qua­li­tä­ten ab­ge­stuf­ten Weise.

2. Dar­aus wer­den neue Be­grif­fe wie „Prä­im­plan­ta­ti­ons­pro­duk­te“ oder „human being ab­ge­lei­tet, die be­sa­gen, dass es hier nicht ei­gent­lich um einen Men­schen geht.

Die ent­schei­den­de Wei­chen­stel­lung hin zur Vor­stel­lung von men­schen­un­wür­di­gem Leben ist damit voll­zo­gen, dass man Men­schen­wür­de und Per­son­sein als em­pi­risch fest­stell­ba­re geis­ti­ge Qua­li­tä­ten ver­steht, die nicht zu­gleich mit dem bio­lo­gisch-mensch­li­chen Leben ge­ge­ben sind (z.B. bei Em­bryo­nen, Feten), son­dern erst im Laufe der weit fort­ge­schrit­te­nen Le­bens­ent­wick­lung auf­tau­chen oder die sich über­haupt nicht ent­wi­ckeln kön­nen (hirn­or­ga­nisch ge­schä­digt ge­bo­re­ne Kin­der) oder die durch Krank­heit und al­ters­be­ding­ten „Abbau“ in Ver­lust ge­ra­ten kön­nen. Diese Auf­fas­sun­gen wur­den zu­nächst vor allem in der an­gel­säch­si­schen po­si­ti­vis­tisch-em­pi­ris­ti­schen Phi­lo­so­phie ver­tre­ten, die die in­ter­na­tio­na­le Dis­kus­si­on über Bio­ethik be­herrscht. Auf die­sem Hin­ter­grund stellt es im an­gel­säch­si­schen Be­reich kein Pro­blem dar, von frü­hen Em­bryo­nen als „Prä­im­plan­ta­ti­onspro­duk­ten“ und von hirn­or­ga­nisch schwer ge­schä­dig­ten und „ab­ge­bau­ten“ Men­schen als „human ve­ge­ta­ble“ oder „per­sis­tant ve­ge­ta­ti­ve state (PVS)“ zu spre­chen. Selbst die Be­grif­fe „human life“ und „human being“ be­sa­gen - so wie sie im „Über­ein­kom­men über Men­schen­rech­te und Bio­me­di­zin“ des Eu­ro­pa­rats ge­braucht wer­den - nicht, dass es sich dabei um „Per­so­nen“ han­delt, denen Men­schen­wür­de zu­kommt.

3. Wenn die Le­bens­qua­li­tät die Men­schen­wür­de be­stimmt, gibt es kei­nen An­spruch mehr für schwer­kran­ke oder ge­schä­dig­te Men­schen, ge­mäss der Men­schen­wür­de und den Men­schen­rech­ten be­han­delt zu wer­den.

Auch immer mehr deut­sche Phi­lo­so­phen und selbst Ver­fas­sungs­recht­ler fol­gen die­ser em­pi­ris­ti­schen Sicht der Men­schen­wür­de und deu­ten den Be­griff Men­schen­wür­de in Ar­ti­kel 1 Grund­ge­setz als eine em­pi­ri­sche Qua­li­tät des Le­bens, die in ers­ter Linie in einem em­pi­risch auf­weis­ba­ren Selbst­be­wusst­sein und der dar­auf auf­bau­en­den Au­to­no­mie, einer Ent­schei­dungs- und Hand­lungs­frei­heit zu fin­den sei, die auch ein po­si­ti­ves Recht auf Selbst­tö­tung ein­schlie­ße. Dem bio­lo­gisch mensch­li­chen Leben komme an sich weder Men­schen­wür­de noch Men­schen­rech­te zu, son­dern nur so­fern es Vor­aus­set­zung und Trä­ger des em­pi­risch fest­stell­ba­ren Sach­ver­halts „Au­to­no­mie“ sei. Ist dies nicht mehr der Fall, so er­lö­sche auch der An­spruch, ent­spre­chend der Men­schen­wür­de und Men­schen­rech­te be­han­delt zu wer­den, denn wo keine Fä­hig­keit zu Selbst­be­stim­mung mehr vor­lie­ge, könne die Au­to­no­mie und mit ihr die Men­schen­wür­de auch nicht mehr durch an­de­re ver­letzt wer­den. Dem ent­spricht, dass die Ach­tung der Men­schen­wür­de nicht mehr in ers­ter Linie im Schutz des Le­bens kon­kret wird, wie er nach Ar­ti­kel 2 des Grund­ge­set­zes ge­bo­ten ist. Der Schutz des Le­bens sei viel­mehr von der Ach­tung der Men­schen­wür­de ab­zu­kop­peln, er sei der Ach­tung der Au­to­no­mie ein­deu­tig un­ter­zu­ord­nen.

4. Das deut­sche Grund­ge­setz und die Schwei­zer Ver­fas­sung de­fi­nie­ren die Men­schen­wür­de als un­ver­lier­bar und un­an­tast­bar. Der Leib­lich­keit kommt daher auch Würde zu, denn sie ist Trä­ge­rin der Men­schen­wür­de.

Das wirf frei­lich die Frage auf: Nach wel­chem Ver­ständ­nis von Men­schen­wür­de ist das Grund­ge­setz zu in­ter­pre­tie­ren? Die kurz ge­kenn­zeich­ne­te neu­ar­ti­ge Deu­tung wi­der­spricht dem bis­her nach den Aus­sa­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts noch gel­ten­den Ver­ständ­nis des Ar­ti­kel 1 des Grund­ge­set­zes, nach dem die Würde des Men­schen un­ver­lier­bar und un­an­tast­bar und immer zu­gleich mit dem Leben ge­ge­ben und zu ach­ten ist. Ihre Ach­tung kon­kre­ti­siert sich daher nach Art.2 im Recht auf Frei­heit, Leben und kör­per­li­che Un­ver­sehrt­heit und – nach Art. 3,3 - darin, dass nie­mand wegen sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wer­den darf. Ein­ge­schränk­te oder feh­len­de „Le­bens­qua­li­tä­ten“ be­grün­den keine ver­min­der­te Ach­tung der Würde des Men­schen und des Schut­zes sei­nes Le­bens. Dem Leben selbst, also dem Le­bens­trä­ger, der Leib­lich­keit kommt Würde zu, sie ist Trä­ger der Men­schen­wür­de, sie selbst ge­bie­tet Ach­tung und nicht nur die au­to­no­men Fä­hig­kei­ten des Men­schen.

5. Das Ver­ständ­nis von Men­schen­wür­de, das dem Ge­setz­ge­ber vor­lag, wurde von der Gott­eben­bild­lich­keit des Men­schen ab­ge­lei­tet. Men­schen­wür­de hängt damit nicht von Fak­to­ren wie der Ge­sund­heit des Men­schen ab.

Die­ses Ver­ständ­nis von der Würde des Men­schen, das die Väter des Grund­ge­set­zes lei­te­te, ist ma­ß­geb­lich durch die jü­disch-christ­li­che Lehre von der Gott­eben­bild­lich­keit aller Men­schen be­stimmt. Die Würde, Mensch und zu­gleich Per­son zu sein, grün­det da­nach nicht in em­pi­risch fest­stell­ba­ren Qua­li­tä­ten, son­dern darin, dass Gott den Men­schen zu sei­nem Eben­bild be­stimmt hat. Kein Mensch wird die­ser Be­stim­mung im ir­di­schen Leben voll ge­recht. Die Gott­eben­bild­lich­keit wird letzt­lich erst im Reich Got­tes, im Sein bei Gott voll­endet. Diese letzt­lich zu­künf­ti­ge Würde ist je­doch dem ir­di­schen Leben von Gott her be­reits un­ver­lier­bar zu­ge­spro­chen. Per­son ist der Mensch al­lein durch das, was Gott an ihm und für ihn tut. Der Mensch kon­sti­tu­iert weder sein Leben noch seine Würde selbst, son­dern er emp­fängt sie von Gott her. Die Men­schen­wür­de ist also eine „tran­szen­den­te Größe“, die von Gott her dem „Le­bens­trä­ger“ (= Leib­lich­keit) zu­gleich mit dem Ge­ge­ben­sein von Leben, also dem ge­sam­ten mensch­li­chen Leben un­ver­lier­bar vom Be­ginn bis zum Tod zu­ge­ord­net ist und bleibt, daher nicht in Ver­lust ge­ra­ten kann, wie ver­sehrt auch immer Kör­per, Seele und Geist sein mögen. Es gibt also kein „wür­de­lo­ses“ und „le­bens­un­wer­tes“, bloß bio­lo­gisch mensch­li­ches Leben. Im Un­ter­schied zur Per­son kön­nen wir das, wozu der Mensch durch an­de­re Men­schen (Er­zie­hung) und sich selbst wird, als Per­sön­lich­keit be­zeich­nen. Sie ist in der Tat eine em­pi­ri­sche Größe, die durch Krank­heit ab­ge­baut und zer­stört wer­den kann. Iden­ti­fi­ziert man die Per­son mit der Per­sön­lich­keit, so wird zu­gleich das Leben mit der Krank­heit bzw. der Be­hin­de­rung gleich­ge­setzt, der Mensch wird dann durch sie de­fi­niert, er ist Be­hin­der­ter, Pfle­ge­fall usw. Man schlie­ßt dann zu­letzt aus der Zer­rüt­tung der Per­sön­lich­keit, dass es sich um „min­der­wer­ti­ges“, wenn nicht gar „men­schen­un­wür­di­ges“, „wür­de­lo­ses“, bloß „ve­ge­ta­ti­ves“ Leben han­de­le, das man um sei­ner selbst wie auch um der Last wil­len, die es für an­de­re dar­stellt, bes­ser von sei­nem Da­sein „er­lö­sen“ solle.

6. Das mo­der­ne Ver­ständ­nis der Men­schen­wür­de, das sich auf die Au­to­no­mie stützt, ver­gisst, dass das Mensch­sein immer auf An­de­re an­ge­wie­sen ist. Zen­tral ist dabei das Wei­ter­ge­ben und Emp­fan­gen von Liebe.

Die idea­lis­ti­sche und auch die em­pi­ris­ti­sche Phi­lo­so­phie stel­len die Au­to­no­mie in den Mit­tel­punkt ihres Men­schen­bil­des, sie be­trach­ten das An­ge­wie­sen­sein auf an­de­re Men­schen als eine min­der­wer­ti­ge Form des Mensch­seins. Nach christ­li­cher Sicht ist Leben immer ver­dank­tes, sich an­de­ren ver­dan­ken­des Leben. Der Mensch ist, um über­haupt leben zu kön­nen - nicht nur im Kin­des­al­ter, son­dern blei­bend das ganze Leben hin­durch -, auf Be­zie­hun­gen zu an­de­ren Men­schen an­ge­wie­sen, nicht nur als Säug­ling und als be­hin­der­ter und alter, son­dern auch als ge­sun­der und sich „au­to­nom“ wäh­nen­der Mensch. Er lebt in und aus die­sen Be­zie­hun­gen und nicht aus sich sel­ber, er ver­dankt ihnen und damit in ers­ter Linie an­de­ren und nicht sich selbst sein Leben. Daher ist das „Mit-Sein“ (Mit­ein­an­der­sein) Be­din­gung der Mög­lich­keit des Selbst­seins, hat seins­mä­ßi­gen Vor­rang vor dem Selbst­sein. Die­sem An­ge­wie­sen­sein ent­spricht das Für-Sein der An­de­ren, ohne das Leben nicht sein, we­nigs­tens aber nicht wirk­lich ge­lin­gen kann. Dies ist auch bei mün­di­gen Men­schen der Fall. Es tritt je­doch bei schwer kran­ken, be­hin­der­ten und pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen am deut­lichs­ten her­vor, weil bei ihnen das „Aus-sich-selbst-le­ben-kön­nen“ am we­nigs­ten mög­lich ist.

Das Leben ver­wirk­licht sich in den heil­sa­men Gren­zen end­li­chen Ge­schöpf­seins, des An­ge­wie­sen- und Ver­wie­sen­seins auf an­de­re, und zwar vor allem im Emp­fan­gen und Ge­wäh­ren von Liebe. Erst von der Liebe be­stimm­te Be­zie­hun­gen er­mög­li­chen, stif­ten und schen­ken Leben, und nur in ihnen wird die Würde des Men­schen wirk­lich ge­ach­tet, ja in ihnen wird der schwerst ver­sehr­te und pfle­ge­be­dürf­ti­ge Mensch durch die Liebe mit Würde „be­klei­det“. Und die „Le­bens­ge­schich­te“, die­ses „Sein-in-Be­zie­hun­gen“ endet nicht damit, dass das „Für-sein“ – wie bei einer fort­ge­schrit­te­nen De­menz oder im Ex­trem­fall bei der un­wi­der­ruf­li­chen Be­wusst­lo­sig­keit („apal­li­sche Syn­drom“, „Wach­ko­ma“) - wie­der zu einem völ­lig asym­me­tri­schen, einem ein­sei­ti­gen „Für-den-an­de­ren-Da­sein“ wird. Auch die Für­sor­ge für sol­che Men­schen ist Teil ihrer un­ver­wech­sel­ba­ren Le­bens­ge­schich­te. Die Leben er­mög­li­chen­den Be­zie­hun­gen der Liebe haben mit­hin seins­mä­ßi­gen Vor­rang vor der au­to­no­men Le­bens­ge­stal­tung.

7. Es gibt kein wür­de­lo­ses Leben, aber Um­stän­de, die die Würde be­dro­hen, ins­be­son­de­re auch men­schen­un­wür­di­ge Be­hand­lung von hilf­lo­sen Men­schen.

Leben grün­det in der aller selbst­tä­ti­gen Le­bens­ge­stal­tung vor­aus­ge­hen­den lie­ben­den und Leben und Würde schen­ken­den Für­sor­ge Got­tes. Erste Auf­ga­be von Men­schen ist es, in ihrem Han­deln die­ser Für­sor­ge Got­tes zu ent­spre­chen, denn es gibt kein „wür­de­lo­ses“ und „le­bens­un­wer­tes“ Leben, wohl aber Le­bens­um­stän­de, die die Würde be­dro­hen, nicht zu­letzt men­schen­un­wür­di­ge Be­hand­lun­gen, vor allem von hilfs­be­dürf­ti­gen Men­schen, die sich nicht mehr selbst schüt­zen kön­nen. Sol­che Um­stän­de kön­nen nur wirk­lich im Geist der Nächs­ten­lie­be be­kämpft wer­den.

8. Der an­geb­li­che Ver­lust des Per­son­seins durch Krank­heit darf nicht zu einem Ab­spre­chen von Men­schen­wür­de und Men­schen­rech­ten füh­ren, auch wenn der be­trof­fe­ne Mensch dies gar nicht mehr wahr­neh­men soll­te.

Nur wenn - wie z.B. im em­pi­ris­tisch-ra­tio­na­lis­ti­schen und im idea­lis­ti­schen Men­schen­bild - Per­son mit Per­sön­lich­keit iden­ti­fi­ziert wird, kann es durch Krank­heit zu einem Ver­lust des Per­son­seins kom­men. Aus christ­li­cher Sicht darf der Grad der Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit aber nur unter der Vor­aus­set­zung für die Be­hand­lung einer Per­son be­deut­sam wer­den, wenn da­durch nicht die Men­schen­wür­de und die Men­schen­rech­te in Frage ge­stellt wer­den. Kei­nes­falls darf dies dazu füh­ren, dass man ohne wirk­li­che Not das Recht auf Hilfe und Ge­sund­heits­für­sor­ge der­je­ni­gen in Frage stellt, die in ihrer Per­sön­lich­keit schwerst be­ein­träch­tigt sind. Auch wenn es durch Krank­heit und Al­tern zum Abbau der Per­sön­lich­keit kommt, haben wir in und „hin­ter“ der zer­bro­che­nen Per­sön­lich­keit die von Gott ge­schaf­fe­ne und ge­lieb­te Per­son in ihrer ein­ma­li­gen und un­ver­lier­ba­ren Würde zu sehen und sie ent­spre­chend zu ach­ten und zu be­han­deln. Nicht al­lein in der Ach­tung vor dem, was ein Mensch aus sich ohne den an­de­ren kann, wird seine Würde ge­ach­tet als viel­mehr und zu­tiefst ge­ra­de in der lie­ben­den Für­sor­ge für den Men­schen, der auf die Zu­wen­dung und Hilfe an­de­rer an­ge­wie­sen ist, um leben zu kön­nen. Die Miss­ach­tung der Men­schen­wür­de schwer kran­ker und hilfs­be­dürf­ti­ger Men­schen be­ginnt und endet nicht erst mit der Miss­ach­tung ihrer au­to­no­men Fä­hig­kei­ten. Die Ach­tung der Men­schen­wür­de wird zu­tiefst in der Ach­tung der Ganz­heit des Le­bens, der gan­zen Leib­lich­keit kon­kret, un­ab­hän­gig davon, ob der kran­ke Mensch dies be­wusst wahr­neh­men kann.

9. Ein Men­schen­bild, das Hilfs­be­dürf­tig­keit und Krank­heit aus­blen­det, ver­fehlt die Wirk­lich­keit des Le­bens. Wenn Men­schen­wür­de vom Mass der Ge­sund­heit ab­hängt, ver­kommt der kran­ke Mensch zum Kos­ten­fak­tor.

Ein Men­schen­bild, das das Lei­den, die Hilfs­be­dürf­tig­keit, die Un­heil­bar­keit und das Siech­tum – bis hin zur völ­li­gen Ent­mäch­ti­gung der Per­sön­lich­keit durch Krank­heit und Al­tern - nicht ein­schlie­ßt, son­dern nur an Ge­sund­heit, Fit­ness, Glück und „Ra­tio­na­li­tät“ ori­en­tiert ist, ver­fehlt die Wirk­lich­keit des Le­bens, ja stellt eine Ge­fahr für die schwächs­ten Glie­der der Ge­sell­schaft dar. Denn es setzt als Ge­gen­bild die Fik­ti­on von einer von Krank­hei­ten, Lei­den und Al­ters­ge­bre­chen frei­en Welt, indem es das Leben von un­heil­ba­rer Krank­heit und vom Abbau der Le­bens­kräf­te ge­kenn­zeich­ne­ten Men­schen aus dem Blick­feld der Öf­fent­lich­keit in ab­ge­son­der­te In­sti­tu­tio­nen ver­bannt, aus denen her­aus sie die Fik­ti­on von einer von Krank­hei­ten, Lei­den und Al­ters­ge­bre­chen frei­en Welt nicht mehr in Frage stel­len kön­nen. Und in denen sie in dem Maße in ihrer Men­schen­wür­de und ihren Men­schen­rech­ten be­droht sind, in dem die Ge­sell­schaft sie in ers­ter Linie als Kos­ten­fak­to­ren wahr­nimmt.

Pro­fes­sor Dr. Ul­rich Ei­bach lehrt Sys­te­ma­ti­sche Theo­lo­gie und Ethik an der Evan­ge­lisch-Theo­lo­gi­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn. Bis Ende 2007 war er Kli­nik­pfar­rer am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Bonn sowie Be­auf­trag­ter der Evan­ge­li­schen Kir­che im Rhein­land für Fort­bil­dung und Fra­gen der Ethik in Bio­lo­gie und Me­di­zin.

Quel­le: In­sti­tut für De­mo­gra­phie, All­ge­mein­wohl und Fa­mi­lie e.V. (i-DAF)


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