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Der Umgang mit den digitalen Unterhaltern – und die Rolle der Eltern


Dass Kinder und Jugendliche so sehr an ihrem Smartphone hängen, dass sie kein vernünftiges Gespräch mehr mit ihnen führen können, irritiert viele Eltern. Ganz besonders zur Weihnachtszeit. Der Bestsellerautor Albert Wunsch empfiehlt klare Regelungen, zum Wohl aller Familienmitglieder.

In den meis­ten Fa­mi­li­en rufen die Ge­wohn­hei­ten des Nach­wuch­ses im Um­gang mit den zum Sta­tus-Sym­bol ge­wor­den di­gi­ta­len Ge­rä­ten, ins­be­son­de­re dem Smart­pho­ne, nach Re­ge­lun­gen. Aber was soll­te ge­re­gelt wer­den? Geht es um Nut­zungs­zei­ten, In­hal­te oder Ein­satz­fel­der? Wo ist ein Mass­stab zu fin­den? Wie kom­men Ver­ein­ba­run­gen zu­stan­de? Und wel­che Kon­se­quenz setzt ein, wenn der Nach­wuchs die Ver­ein­ba­run­gen ‚ver­ges­sen’ hat oder ein­sei­tig für un­gül­tig er­klärt?

Die li­be­ra­le Er­zie­hungs­hal­tung schei­tert hier

Sich selbst als ‚li­be­ral’ be­zeich­nen­de El­tern könn­ten sich ver­wun­dert die Augen rei­ben und fra­gen, was sie denn damit zu tun haben: Schliess­lich ge­hört der Ein­satz von High­tech-Geräten zum mo­der­nen Leben. Kin­der bzw. Ju­gend­li­che müs­sen halt damit ihre Er­fah­run­gen ma­chen. So wächst Me­di­en­kom­pe­tenz. Da soll­ten wir un­se­ren Kin­dern keine Vor­schrif­ten ma­chen. Und die Zei­ten au­to­ri­tä­rer An­sa­gen sind nun mal vor­bei. Das zu­künf­ti­ge Leben ist halt di­gi­tal.

Da diese Hal­tung heute sehr weit ver­brei­tet ist, hier eine kurze Ver­deut­li­chung: Wer so den Be­griff ‚li­be­ral’ zu nut­zen sucht, be­weist nicht nur In­kom­pe­tenz im Um­gang mit einem für die Mensch­heit wich­ti­gen Be­griff, son­dern klam­mert gleich­zei­tig aus, das Frei­heit ohne Ver­ant­wor­tung schnell zu Ego­is­mus, Will­kür und Zer­stö­rung führt. Denn die – zu häu­fig auch in der Er­zie­hung – be­ob­acht­ba­re Grund­hal­tung: „Da halte ich mich raus, das soll halt jeder sel­ber wis­sen, ich möch­te keine Po­si­ti­on be­zie­hen“, ist im Grun­de eine päd­ago­gi­sche Bank­rott­er­klä­rung ge­gen­über den uns an­ver­trau­ten Kin­dern und Ju­gend­li­chen.

Kein ver­nünf­ti­ger Mensch käme auf die Idee, Kin­dern das Fahr­rad­fah­ren auf Schnell­stras­sen oder Ju­gend­li­chen den Um­gang mit ge­fähr­li­chen Sub­stan­zen im Che­mie-La­bor von selbst er­ler­nen zu las­sen. Nein, immer be­nö­ti­gen Kin­der und Ju­gend­li­che An­lei­tung, Be­glei­tung und Rück­mel­dun­gen, ob diese nun kor­ri­gie­rend oder ver­stär­kend sind. Und je mehr Ge­fah­ren im Um­gang mit Din­gen zu er­war­ten sind, desto nö­ti­ger sind Ein­übungs­fel­der und Schutz­mass­nah­men. Mo­der­ne Me­di­en zu ver­teu­feln ist ge­nau­so un­sin­nig, wie sie zu ver­göt­tern. Der ver­ant­wort­li­che Um­gang ent­schei­det dar­über, ob eine Hand­lung ver­werf­lich oder för­der­lich, schlecht oder gut ist, dem Zu­sam­men­le­ben dient oder die­ses zer­stört. Dies sind die Ba­sis-Kri­te­ri­en wirk­li­cher Me­di­en-Kom­pe­tenz.

Ein Miss­ver­ständ­nis

Eine stän­di­ge me­dia­le Prä­senz scha­det nicht nur der Ge­sund­heit der nach Jah­ren Er­wach­se­nen, son­dern eben­so den rea­len Kon­tak­ten in Part­ner­schaft, Fa­mi­lie und Freun­des­kreis. Zu­sätz­lich ma­chen sie als – hof­fent­lich ver­ant­wort­lich han­deln­de – El­tern zu häu­fig einen fa­ta­len Trans­fer­feh­ler: Sie schlies­sen von der ei­ge­nen pri­va­ten und be­ruf­li­chen An­wen­dung der Ge­rä­te pau­schal dar­auf, dass Kin­der sie ge­nau­so sinn­haft und do­siert nut­zen wie sie. In einem In­ter­view äus­sert Uwe Buer­mann, ein päd­ago­gisch-the­ra­peu­ti­scher Me­di­en­be­ra­ter: „Wenn wir das den­ken, dann ver­sün­di­gen wir uns an un­se­ren Kin­dern, weil wir im ein­zel­nen gar nicht genau wis­sen, was sie damit ma­chen und was sie genau wol­len. Me­di­en­kom­pe­tenz er­wer­ben die Kin­der nicht am Com­pu­ter son­dern in der Fa­mi­lie und in der Schu­le, wo sie an das Wis­sen und die ge­sell­schaft­li­chen Werte her­an­ge­führt wer­den. Nur so kom­men sie in die Lage, Me­di­en an­ge­mes­sen zu ver­wen­den.“

In wel­chem Um­fang El­tern aber in einer Mi­schung aus Be­grenzt­heit und Träg­heit man­chen Me­di­en­kon­sum-Miss­brauch di­rekt – wenn auch un­re­flek­tiert – er­mög­li­chen, wird an fol­gen­den Bei­spie­len deut­lich. Da klagt Vater B. in einem Be­ra­tungs­ge­spräch, dass der Sohn bis mit­ten in der Nacht auf sei­nem Zim­mer per Smart­pho­ne oder PC im In­ter­net surfe. Alle Er­mah­nun­gen sei­nen bis­her fol­gen­los ge­blie­ben. Da ich wuss­te, dass er Elek­tro-In­ge­nieur ist, frag­te ich ihn leicht schmun­zelnd, wes­halb denn das WLAN noch kei­nen Schal­ter habe. – Eine Er­zie­he­rin, der das kräf­ti­ge Pflas­ter zwi­schen Dau­men und Zei­ge­fin­der der fünf­jäh­ri­ge Kati auf­fiel, er­hielt die Er­klä­rung: „Papa und ich haben zu lange mit der Wii ge­spielt, da fing die Hand auf ein­mal zu blu­ten an.“

Ver­ein­ba­run­gen fest­le­gen und schrift­lich fest­hal­ten

Kein Kind braucht ein Smart­pho­ne und soll­te mög­lichst auch kei­nes be­kom­men, weil das Ge­fah­ren­po­ten­ti­al und der Sucht­fak­tor zu gross sind. Ein Handy für wich­ti­ge Te­le­fo­na­te ab der wei­ter­füh­ren­den Schu­le reicht völ­lig aus. Für den Ein­satz die­ser Me­di­en hier ei­ni­ge Eck­punk­te, die mit Sohn oder Toch­ter – mög­lichst vor dem Er­werb – zu klä­ren und schrift­lich fest­zu­hal­ten sind: Die Ein­satz­zei­ten über Tag wer­den be­grenzt.

Füh­ren echte So­zi­al­kon­tak­te und Draus­sen-Spiel­zei­ten ein Schat­ten­da­sein, kommt das Mul­ti­ge­rät für ei­ni­ge Stun­den ins Aus. In der Zeit von 20.00 / 22.00 Uhr bis nach dem Früh­stück haben Han­dys & Co. Nacht­ru­he. Dazu kom­men die Ge­rä­te in eine Ab­la­ge in der Gar­de­ro­be. Falls sich ein PC im Kin­der­zim­mer be­fin­det – was kei­nes­falls emp­feh­lens­wert ist – wird das WLAN-Sys­tem für die Nacht aus­ge­schal­tet oder das Netz­werk­ka­bel ge­zo­gen und zum Smart­pho­ne ge­legt.

Bei Mal­zei­ten, Fa­mi­li­en­fes­ten und Haus­auf­ga­ben er­hal­ten Han­dys & Co. einen Platz­ver­weis. Mit den Kin­dern wird ge­mein­sam ein Pass­wort für das Gerät fest­ge­legt und ge­klärt, wel­che Ak­tio­nen, Sei­ten oder Nut­zungs­be­rei­che tabu sind, in wel­chem zeit­li­chen Um­fang eine Nut­zung pro Tag höchs­tens er­fol­gen soll und in wel­chen Ab­stän­den mit dem Kind die Nut­zungs-Chro­nik durch­ge­schaut wird. Da­nach steht die Klä­rung von Kon­se­quen­zen an, was denn von Sohn oder Toch­ter ein­ge­bracht wird, wenn die Regel ver­letzt wurde. Erst dann kommt das Gerät zum Ein­satz.

Re­zept zur Ent­span­nung

Hier ein Face­book-Pra­xis-Tipp der be­son­de­ren Art: „Lie­bes Kind, diese Woche gibt es jeden Tag eine neues WLAN-Pass­wort. Das Netz wird grund­sätz­lich erst dann ein­ge­schal­tet, wenn die Schul­ar­bei­ten fer­tig sind. Heute steht zu­sätz­lich an: Zim­mer auf­räu­men, ab­spü­len, den Müll raus­brin­gen. Herz­lichst deine Mama und Papa.“

Exis­tiert hier ein gutes Mit­ein­an­der zwi­schen El­tern und Kin­dern, führt eine sol­che Re­ge­lung zu spür­ba­rer Ent­span­nung. Das Kind wird nicht mit Ver­bo­ten zu­ge­schüt­tet, son­dern die ei­ge­ne Mün­dig­keit ge­för­dert. Gibt es einen Nach-Re­ge­lungs­be­darf, set­zen sich die Be­tei­lig­ten zu­sam­men und klä­ren die­sen. So wächst in Frei­heit und Ver­ant­wor­tung die Fä­hig­keit zum Kom­pe­ten­z­er­werb, weit über den Ein­satz von Handy, Smart­pho­ne und Co. hin­aus. Und wenn der Nach­wuchs zu ve­he­ment unter Ver­weis auf Alter und an­geb­li­che Frei­heits­rech­te jeg­li­che el­ter­li­che Re­ge­lungs­ver­su­che zu boy­kot­tie­ren ver­sucht, dann wird die Ver­hand­lungs­be­reit­schaft oder Re­ge­lungs­ein­sicht schnell wach­sen, wenn mal eine Zeit lang keine WLAN bzw. Netz­werk-Ver­bin­dung im ei­ge­nen Zim­mer exis­tiert und das ach so ge­lieb­te zwei­te ICH, das sich Smart­pho­ne nennt, in Schutz­ver­wah­rung ge­nom­men wird.

Der Päd­ago­ge Uwe Buer­mann sagt: „Echte Me­di­en-Kom­pe­tenz, die wir uns alle von Her­zen wün­schen, be­ginnt mit Me­di­en-Ab­sti­nenz – nicht im Sinne der Be­wahr­päd­ago­gik, nein, im Sinne der Fä­hig­keits­bil­dung, die es braucht, um Me­di­en sinn­voll zu nut­zen.“

Zu den Bü­chern von Al­bert Wunsch

Co­py­right: Dr. Al­bert Wunsch, D-41470 Neuss, Im Ha­wisch 17

Zur Per­son: Dr. Al­bert Wunsch ist Psy­cho­lo­ge, Di­plom So­zi­al­päd­ago­ge, Di­plom Päd­ago­ge sowie pro­mo­vier­ter Er­zie­hungs­wis­sen­schaft­ler. Seit 2004 Lehr­tä­tig­keit an der Ka­tho­li­schen Hoch­schu­le NRW in Köln (Be­reich So­zi­al­we­sen) be­gann. Seit 2013 haupt­amt­li­che Lehr­tä­tig­keit an der Hoch­schu­le für Öko­no­mie und Ma­nage­ment (FOM) in Essen / Neuss. Lehr­auf­trag an der Phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät der Uni Düs­sel­dorf. Ei­ge­ne Pra­xis als Paar-, Er­zie­hungs-, Le­bens- und Kon­flikt-Be­ra­ter sowie als Su­per­vi­sor und Kon­flikt-Coach (DGSv). Al­bert Wunsch ist Vater von zwei Söh­nen und Gross­va­ter von drei En­ke­lin­nen.


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