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250'000 arme Menschen und ein Flickenteppich von (fehlenden) Massnahmen


Die Caritas hat eine Auslegeordnung zur Familienarmut erstellt und darin aufgezeigt, wie Bund und Kantone darauf reagieren. In ihrem Bericht, der dem Caritas-Forum Ende Januar vorlag, ortet sie beunruhigende Tendenzen, sagt aber auch, wer seine Hausaufgaben gemacht hat.

Das eu­ro­päi­sche Jahr zur Be­kämp­fung von Armut und so­zia­ler Aus­gren­zung 2010 hat ei­ni­ges aus­ge­löst. So wurde Armut auch auf Bun­des­ebe­ne ein Thema. Das Par­la­ment nahm eine Mo­ti­on an, die den Bun­des­rat auf­for­der­te, eine na­tio­na­le Ar­muts­kon­fe­renz ein­zu­be­ru­fen. Die Kon­fe­renz der kan­to­na­len So­zi­al­di­rek­to­ren (SODK) und die Schweiz. Kon­fe­renz für So­zi­al­hil­fe (SKOS) er­ar­bei­te­ten ge­mein­sam eine „Ge­samt­schwei­ze­ri­sche Stra­te­gie zur Ar­muts­be­kämp­fung“. 2012 be­rief so­dann Bun­des­rat Alain Ber­set einen run­den Tisch ein, und als Re­sul­tat davon lan­cier­te der Bun­des­rat 2013 das Pro­gramm zur Be­kämp­fung und Prä­ven­ti­on von Armut. Zudem hat der Bund eine Ar­muts­sta­tis­tik er­stel­len las­sen.

Für eine Mil­li­on pre­kär

Laut dem Be­richt der Ca­ri­tas zur Ar­muts­po­li­tik 2015 leben rund eine Vier­tel­mil­li­on Men­schen in der Schweiz in Armut. Laut dem zwei­ten Hand­buch der Ca­ri­tas zur Armut leben gar eine Mil­li­on Men­schen in pre­kä­ren fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­sen und sind nicht in der Lage, eine un­er­war­te­te Rech­nung von 2000 Fran­ken zu be­zah­len. 2010 hat das Hilfs­werk daher eine De­ka­de „Armut hal­bie­ren“ aus­ge­ru­fen. In der Mitte der De­ka­de zieht Ca­ri­tas jetzt Bi­lanz.

Sie stellt jetzt fest, dass die Bot­schaft auch in den Kan­to­nen an­ge­kom­men ist, al­ler­dings mit sehr un­ter­schied­li­chen Fol­gen. Eine ei­gent­li­che Ar­muts­be­kämp­fungs­stra­te­gie, die die­sen Namen ver­dient, hat le­dig­lich der Kan­ton Bern er­stellt. An­de­re Ka­no­ne haben zwar eine Eva­lua­ti­on ge­macht, aber keine Ziele for­mu­liert. Noch an­de­re haben ganz auf Mass­nah­men zur Be­kämp­fung der Fa­mi­li­en­ar­mut ver­zich­tet.

Bund ab­ge­bremst

Auf Bun­des­ebe­ne schei­ter­te der Ver­such, ein Rah­men­ge­setz zur So­zi­al­hil­fe zu for­mu­lie­ren. Es blieb beim Sta­tus quo, und der Ball lan­de­te wie­der bei den Kan­to­nen. Auch der Ver­such, Er­gän­zungs­leis­tun­gen für be­dürf­ti­ge Fa­mi­lie schweiz­weit ein­zu­füh­ren, schei­ter­te 2011 nach einer zehn­jäh­ri­gen De­bat­te. Bis heute haben le­dig­lich die Kan­to­ne So­lo­thurn, Tes­sin, Waadt und Genf Fa­mi­li­en­er­gän­zungs­leis­tun­gen ein­ge­führt. Laut Ca­ri­tas müss­te die Ar­muts­be­kämp­fung daher Bun­des­sa­che sein. Sie for­dert zum Bei­spiel ein na­tio­na­les Ar­muts­mo­ni­to­ring mit mess­ba­ren Zie­len, In­di­ka­to­ren und Mass­nah­men.

Kan­to­na­ler Fli­cken­tep­pich

Der Be­richt der Ca­ri­tas zeigt im ein­zel­nen auf, was die Kan­to­ne gegen Armut tun. Sie­ben Kan­to­ne haben einen Ar­muts­be­richt er­stellt, in fünf Kan­to­nen wird daran ge­ar­bei­tet, zwei Kan­to­ne er­ar­bei­ten eine de­tail­lier­te So­zi­al­hil­festa­tis­tik und 12 Kan­to­ne ver­zich­ten auf einen Be­richt zur Fa­mi­li­en­ar­mut. Eine Vor­rei­ter­rol­le nimmt Bern ein, das nebst der Eva­lua­ti­on auch sie­ben prio­ri­tä­re Mass­nah­men fest­hält und die Fort­schrit­te auch über­prüft. An­de­re haben zwar einen Be­richt er­stellt aber keine Ziele bzw. auch Mass­nah­men fest­ge­legt. Es gibt dies­be­züg­lich ein deut­li­ches West-Ost-Ge­fäl­le.

Trend zur Ent­so­li­da­ri­sie­rung

Par­al­lel zu die­ser Ent­wick­lung zeigt sich ein ge­gen­läu­fi­ger Trend mit Kür­zun­gen im So­zi­al­be­reich. Ein „ag­gres­si­ver Steu­er­wett­be­werb“ hat laut Ca­ri­tas zu einem Leis­tungs­ab­bau ge­führt. Die SODK hat den Grund­be­darf für junge Er­wach­se­ne und Gross­fa­mi­li­en bei der So­zi­al­hil­fe ge­kürzt. Ein „Damm­bruch“, so die Ca­ri­tas. Par­al­lel dazu wurde als Folge von Spar­be­mü­hun­gen der Kan­to­ne die Ver­bil­li­gung der Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en zwi­schen 2010 und 2014 um 169 Mil­lio­nen ab­ge­baut. Im Ge­gen­satz dazu be­zah­len die Best­ver­die­nen­den in allen Kan­to­nen aus­ser Neu­en­burg, Waadt und Ba­sel­land heute we­ni­ger Steu­ern als vor 15 Jah­ren. Zudem wur­den die Erb­schafts­steu­ern ge­senkt. Laut Ca­ri­tas hat der Leis­tungs­ab­bau bei der So­zi­al­hil­fe dazu ge­führt, dass das so­zia­le Exis­tenz­mi­ni­mum nicht mehr für alle Ar­muts­be­trof­fe­nen ga­ran­tiert ist. Haupt­be­trof­fe­ne sind Fa­mi­li­en mit Kin­dern, Kin­der gel­ten in der Schweiz als Ar­muts­ri­si­ko.

Drei Säu­len

Eine wirk­sa­me Ar­muts­po­li­tik muss laut dem Be­richt auf drei Säu­len auf­ge­baut wer­den. Zum einen die Exis­tenz­si­che­rung, die laut Ca­ri­tas durch Fa­mi­li­en­er­gän­zungs­leis­tun­gen ga­ran­tiert wer­den könn­te. Zwei­tens die Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­li­en­ar­beit und Beruf, ins­be­son­de­re durch güns­ti­ge Be­treu­ungs­struk­tu­ren. Drit­tens die Ver­bes­se­rung der Chan­cen­gleich­heit mit einem Zu­gang zur frü­hen För­de­rung, Un­ter­stüt­zung in der Be­rufs­bil­dung sowie El­tern­bil­dung. In allen Be­rei­chen gibt es in der Schweiz Nach­hol­be­darf. Sie hinkt zum Teil auch weit hin­ter an­dern eu­ro­päi­schen Län­dern nach. Die Po­li­tik er­kennt aber im Mo­ment fast aus­schliess­lich Nach­hol­be­darf im Be­reich der aus­ser­fa­mi­liä­ren Kin­der­be­treu­ung, wo auch der Bund mit Im­puls­pro­gram­men aktiv ist. Ge­ra­de, weil hier auch die Wirt­schaft in­ter­es­siert ist.


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