Medien und Politik fokussieren auf das vierte Lebensalter, das für die Gesellschaft finanzielle und pflegerische Herausforderungen bringt. Doch das Potenzial, die Ressourcen und die Einsatzbereitschaft der Leute im dritten Lebensalter wird unterschätzt, wenn nicht gar ignoriert.
(SSF/im.) Dies bestätigte eine Podiumsdiskussion in Anschluss an die Konferenz „Beziehungen im späteren Leben – Herausforderungen und Möglichkeiten“ am 29. Juni an der Universität Bern. Sie fragte vorerst nach Ursachen für die verbreitete Einsamkeit alter Menschen. Diese sei vor allem eine Frage der Befindlichkeit und der subjektiven Einschätzung, betonte die Berner Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello, Moderatorin des Podiums, dazu. Ältere Menschen fühlten sich allerdings weniger oft einsam als junge, bemerkte dazu Hilde Schäffler, Projektleiterin bei der Gesundheitsförderung schweiz. Erst im hohen Alter nehme Einsamkeit wieder zu, besonders wenn die engste, oft auch einzige, Bezugsperson verstorben ist. Speziell betroffen seien alte Migrantinnen.
Die Risikogruppen und die politische Stagnation
Unter den Betroffenen stellen einerseits die sozial Schwachen eine Risikogruppe dar, ganz einfach, weil sie sich Dinge wie zum Beispiel ein neues Hörgerät nicht mehr leisten könnten, betonte Nationalrätin SP Bea Heim. Sie verlieren die sozialen Kontakte allmählich. Damit verbunden ist eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit, die wiederum Sozial- und Gesundheitskosten auslöst. Heim kritisierte, der Staat versuche sich zunehmend aus der Verantwortung zu ziehen mit dem Hinweis auf die Selbstverantwortung der Betroffenen. Sie stellt auch eine steigende Diskriminierung des Alters fest, was an den Kräften der alten Menschen zehre und das Risiko der Vereinsamung steigere. Dies löst wiederum Kosten aus, was von der Politik ständig thematisiert wird. Andererseits vernachlässige die Politik die Palliative Care und Pflege der psychischen Gesundheit der alten Menschen. Es brauche daher eine stärkere Vertretung der älteren Menschen im Parlament, so Heim, die darin von Bettino Somaini, der sich heute für die Grauen Panter Bern engagiert, unterstützt wurde.
Die Ressourcen des dritten Lebensalters
„Dass Menschen so alt werden wie heute, ist eine ganz neue Erfahrung und wir haben noch keine Ahnung, wie man damit umgeht“, stellte Somaini fest. „Aber es ist eine grosse Chance“. Viele Menschen hätten hier noch 20 aktive Lebensjahre vor sich und seien nicht nur an vielen Reisen interessiert, sondern möchten etwas Sinnvolles tun. Kurt Seifert von Pro Senectute bestätigte: „Unsere Generation erlebt damit die Verwirklichung eines Menschheitstraums.“ Dieser Fortschritt werde aber noch zu wenig erkannt. Pro Senectute sieht im dritten Lebensalter ein hohes Potenzial an Fürsorge für das vierte. Zahlreiche Aktivitäten laufen bereits wie Transportdienste, Besuchs- und Beratungsdienste. Diese hätten in kurzer Zeit um 50% zugenommen. Besonders im Bereich Finanzen. „Altersarmut ist ein Thema in der Schweiz“, betonte Seifert.
Ein Heer von Freiwilligen
Hildegard Hungerbühler, Bereichsleiterin Gesundheit beim SRK, wies auf die 70.000 Freiwilligen hin, die im Rahmen des Roten Kreuzes für alte Menschen Dienstleistungen erbringen, darunter auch viele Jugendliche. „Sie können aber die staatlichen Leistungen nicht ersetzen“, warnte sie. Doch sie seien ein wichtiges Element in der Kontaktpflege und könnten so Vereinsamung vermeiden helfen.
Hansjörg Znoj, Professor für klinische Psychologie an der Universität Bern, betonte die Wichtigkeit der Prävention. Älter werdende Menschen müssten sie rechtzeitig durch aktive Kontaktpflege selbst an die Hand nehmen. Ein Problem stelle sich ein bei Menschen, die ihren Partner verlieren, auf den sie ihre ganze Aufmerksamkeit gerichtet hatten, und mit der Trauerbewältigung nicht klar kommen. Hier brauche es einen längeren therapeutischen Prozess. Znoj arbeitet am Aufbau einer Plattform für ältere Menschen, die online Hilfe und Beratung suchen.