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Vereinbarkeit neu denken


Mit dem Forum Familie trifft Wirtschaft hat die Schweizerische Stiftung für die Familie zu ihrem 20. Jubiläum einen substantiellen Beitrag zu einer aktuellen gesellschaftlichen Diskussion geleistet. Das Thema Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit wurde durch einen wichtigen neuen Akzent bereichert. Ein neues Denken ist gefordert, welches beide Systeme miteinander sieht, die in hohem Masse voneinander profitieren.

In Zürich trafen am 27. September ein hochkarätiges Podium und zwei Referenten auf rund 80 interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Kirche und Familie. Der höchste Schweizer, Nationalratspräsident Dominic de Buman, der schon vor dem Forum in einem Interview mit der Stiftung von einer „heiligen Allianz für die Familie“ sprach, richtete sich in einer Videobotschaft an das Forum. Er bezeichnete darin die Familie als „Kern der Gesellschaft“, die auch eine Basis für eine gelingende Wirtschaft sei. Er appellierte an die Führungskräfte der Wirtschaft, gute Lösungen für die Familie zu finden. Generell sei ein Zusammenwirken aller Akteure entscheidend, damit Familien- und Berufsarbeit in einer guten Weise miteinander vereinbart werden kann.

Unterschiedliche Perspektiven

Die beiden Referenten des Forums kamen aus ganz unterschiedlichem Hintergrund und präsentierten daher auch unterschiedliche Perspektiven. Robert Heinzer, Personalchef der Victorinox in Ibach SZ, ist Familienvater und stammt aus einer Grossfamilie mit 10 Kindern. Die Firma hat nicht nur eine einzigartige Firmen- und Mitarbeiterphilosophie, sondern auch eine einmalige Familiennachfolgetradition. Heute leitet „Carl Elsener IV“ die Firma, somit ein Nachkomme der 4. Generation des Gründers Carl Elsener. Sie bietet 2400 Arbeitsplätze an, davon 1400 in der Schweiz. Die Firma gleicht selbst einer Familie und nimmt konsequent auf die Bedürfnisse der Familien Rücksicht. So ist zum Beispiel die Schichtarbeit auf die Bedürfnisse von Eltern abgestimmt. Sämtliche offenen Stellen werden zuerst den Mitgliedern oder Nachkommen der bereits angestellten Familienmitglieder angeboten. Die Sicherung der Arbeitsplätze hat höchste Priorität, was sich in einem antizyklischen Verhalten der Firma gegenüber den Marktschwankungen niederschlägt. Bei guten Marktverhältnissen wird das Marketing heruntergefahren und die Lager geräumt, bevor nötigenfalls Überstunden angesetzt werden. Man stellt nicht zahlreiche neue Mitarbeitende an, die beim nächsten Konjunkturtief vielleicht wieder entlassen werden müssen. Wenn der Markt schwächelt, wird mehr Marketing betrieben, Neuerungen werden lanciert und Lagerbestände aufgestockt.

Werte vor Kompetenz

Entscheidend sind aber die Werte, denen sich die Firma verpflichtet fühlt: Glaubwürdigkeit, Offenheit, Respekt, Vertrauen, Dankbarkeit, Bescheidenheit, Mut und Verantwortung. Es sind Werte, die auch Familienwerte sind und in einer guten Familie gepflegt werden. Ein besonders hoher Stellenwert wird der Loyalität zugeordnet. „Werte, die in der Familie gelernt werden, gehen in Fleisch und Blut über“, ergänzte Heinzer im anschliessenden Podiumsgespräch.

Gute Eltern sind bessere Mitarbeiter

Joachim E. Lask, Diplompsychologe mit eigener Praxis und Familienforscher (WorkFamily-Institut), ist Autor des Buches „Gute Eltern sind bessere Mitarbeiter“. Der fünffache Familienvater erläuterte seine Thesen zur «Neuen Vereinbarkeit». Er geht davon aus, dass die meisten wesentlichen Kompetenzen von Führungskräften in der Familie erlernt und praktiziert werden. In Zürich nannte er sieben „Basics“ für gute Eltern: Sie stehen zur Elternschaft, sorgen auch für sich selbst, fördern positive Beziehungen, sind verbindlich und konsequent, sorgen für die sichere Bewältigung des Alltags, leben Glauben und Werte und last but not least: Sie bleiben immer auch realistisch. Laut Joachim Lask lassen sich alle diese Werte auch auf die Führung und die Kultur in einem Unternehmen übertragen. Er hat den Begriff „Kompetenzcenter Familie“ geprägt und forscht zusammen mit Prof. Nina Junker von der Goethe-Universität Frankfurt, welche den europaweit einzigen Lehrstuhl hierfür begleitet.

Unternehmen lassen bis zu 50% der Familienkompetenzen ungenutzt

Die Herausforderung liegt darin, dass sich Eltern selbst bewusst sind, dass sie Kompetenzen in der Familie entwickeln, die sie auch als Führungskraft im Unternehmen einsetzen können. Die andere Herausforderung ist, dass auch die Unternehmer sich dafür sensibilisieren lassen. Lask hat daher auch die Unternehmersicht thematisiert, die nach Kompetenzen wie Stressmanagement, Stressimmunität, Konfliktfähigkeit und Selbstkompetenz fragt. Lask zeigt, dass auch diese „Softskills“ in der Familie erlernt und sich auf die Arbeit im Unternehmen umsetzen lassen, sofern die Betroffenen das wollen. Eine Studie kommt zum Schluss, dass zwar 76,8% der Befragen der Ansicht sind, dass sie in der Familie Kompetenzen erwerben, die sie auch am Arbeitsplatz einsetzen können. Gleichzeitig nehmen nur 23,1% an, dass auch ihre Vorgesetzten diese Kompetenzen erkennen! Daraus resultiert für das Unternehmen ein Verlust von 50% an vorhandenen Kompetenzen. Das Institut (www.workfamily-institut.de) bietet daher nebst Information, Kursen und Seminaren auch die App be:able an, die zum Beispiel nach einer Elternzeit Mütter befähigt, ihre eigenen Kompetenzen kennen zu lernen und zu benennen. In der Familie müssen zum Beispiel in einer Krisensituation schnell Lösungen gefunden werden, betonte Lask im anschliessenden Gespräch.

„Family first“

Eigene Akzente setzten sodann in der Podiumsdiskussion Johannes Läderach, CEO der Läderach AG, und Dr. Christiane Herre, Leiterin der Personal- und Organisationsentwicklung bei der Postfinance AG. Johannes Läderach brachte dazu den Begriff „Family first“ in die Diskussion. Die Bedürfnisse der Familie sollen und dürfen vor den Bedürfnissen der Wirtschaft stehen. Das habe ihn sein Vater gelehrt. Das bedeutet nicht, dass die Firma von Führungskräften nicht einen hohen Einsatz fordern darf. In seiner Familie bedeutete es jedoch, dass die Mutter während der intensiven Familienphase ganz für die Familie da war. Aber auch der Vater sei immer da gewesen, wenn es wichtig war, stellt Läderach im Rückblick fest. Dass Mütter heute mehr am Arbeitsplatz sein sollen, weil sie von der Wirtschaft gebraucht werden und gut ausgebildet sind, sieht er als falsche Zielsetzung, obschon die Mehrheit der Führungskräfte bei Läderach Frauen ausmacht. Zuerst sei die Frage zu stellen: Was braucht die Familie? Konkret: „ich nehme nur an drei Abenden pro Woche Termine wahr.“ Er rät, Familien- und Berufsarbeit vom Ende her zu denken: Wie möchten wir, dass unsere Kinder uns später als Eltern beschreiben?

(Familien)werte, die bei Läderach klar christlich ausgerichtet sind, haben im Übrigen bei einer Anstellung den Vorrang vor der Kompetenz, wenn diese zwischen Bewerbern vergleichbar ist.

„Work-Life Balance“ hat ausgedient

Vor einem ganz andern Hintergrund sprach Dr. Christiane Herre, Managerin bei der Postfinance. Die zweifache Mutter stellt die Frage: „Wie kriegen wir die Männer wieder in die Familie zurück?“. Bei der Postfinance würden Männer für die Familienarbeit sensibilisiert, zum Beispiel an organisierten Austauschrunden unter dem Label „Männer 2.0“. Man biete Vätern Teilzeitarbeit an, um sie besser an der Familienarbeit zu beteiligen. Auch die Postfinance arbeite mit einem Wertegerüst, das immer wieder bei einer strategischen Neuausrichtung justiert werde. Sie stellte gleichzeitig den vermeintlichen Modebegriff Work-Life-Balance in Frage. Dass die Berufsarbeit dank der modernen Kommunikationstechnik oft noch in die Freizeit hineinreicht, sieht sie nicht als Problem, sondern als zusätzliche Chance, beide Bereiche miteinander zu verbinden. Nach der Familienarbeit und der Zeit mit den Kindern könne sie gut auch am Abend noch eine Arbeit im Homeoffice erledigen. Wer in einer Ehe mit zwei gut ausgebildeten Menschen Karriere machen dürfe, müsse ausgehandelt werden. Auch wie die Familienarbeit verteilt werde. „Bei der Krankheit eines Kindes losen wir jeweils aus, wer seine Termine verschieben muss“, verriet Herre. Sie ergänzte, dass die Postfinance selbst einen Vaterschaftsurlaub eingeführt habe (2 Wochen bezahlt, 4 Wochen unbezahlt). Auch Victorinox kennt einen paritätischen Elternurlaub.

Für den Moderator und Diskussionsleiter Andreas M. Walker hat das Forum einen wertvollen Impuls gesetzt, der aufgenommen und in weiteren Veranstaltungen konkretisiert werden müsste.

Impressionen

Stimmen

"Es hat mich sehr gefreut, dass wir als Väter und Mütter Kompetenzen in der Familie erwerben, wie zum Beispiel Geduld, Konfliktfähigkeit, zuhören können, die auch in Unternehmen erkannt und wertgeschätzt werden."

Christa Baumann, 55, Kindergärtnerin und Pfarrfrau, Mettmenstetten

"Die Stiftung hat es verstanden, ein breites Spektrum auf die Bühne zu holen und verschiedenen Ansichten und Meinungen Gewicht zu verleihen. Wesentlich sind für mich Lösungsansätze oder Modelle, die jeder Familie erlauben, so viel Zeit wie möglich als Familie zu verbringen. Die Veranstaltung war für mich eine Horizonterweiterung. Danke dafür!"

Barbara Landolt-Geissmann, Mutter und Präsidentin VFE (Vereinigung Familie und Erziehung)

Für eine "Neue Vereinbarkeit"


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