(FI) Deutschland und die Schweiz haben eines gemeinsam: Sie tun wenig für die wirtschaftliche Gerechtigkeit von Familien mit Kindern.
In der Sozialversicherung, bei den Steuern und bei den Krankenkassenprämien bewegen sich Familien häufig auf wirtschaftlich dünnem Eis. Steuergerechtigkeit für Familien ist vielfach noch eine Illusion.
In den Sozialversicherungen
Das deutsche Verfassungsgericht hat vor 17 Jahren ein bemerkenswertes Urteil gefällt, das die Politik jedoch auf die lange Bank geschoben hat. Es hat damals festgestellt, dass Eltern für die Sozialversicherungen mehr leisten als Kinderlose, insbesondere wenn man auch die Verdienstausfälle berücksichtigt, die Eltern auf sich nehmen. Es hat die Politik verpflichtet, einen Ausgleich zwischen Eltern und Kinderlosen zu schaffen. Doch diese ist bislang untätig geblieben.
Nun unterstützt auch der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn das Anliegen und fordert Beitragsentlastungen für Familien. Die bisherige Beitragsgestaltung sei verfassungswidrig.
Parallel dazu haben der Deutsche Familienverband und der Familienbund der Katholiken beim Bundesverfassungsgericht eine Klage eingereicht. Sie fordern eine Entlastung der Familien in der Höhe von 240 Euro pro Kind. Das Verfassungsgericht hat jetzt Verbände und staatliche Institutionen zur Stellungnahme aufgefordert.
In der Schweiz dürften Berechnungen über die vergleichbare Belastung von Eltern und Kinderlosen zu ähnlichen Resultaten kommen, auch wenn das Problem durch Erziehungs- und Betreuungsgutschriften etwas entschärft ist. Wer aber durch Erziehungs- und Betreuungsarbeit weniger Einkommen erzielt, wird sicher in der zweiten und dritten Säule gegenüber Kinderlosen benachteiligt sein. Die relativ bescheidenen Familienzulagen können den Nachteil nicht ausgleichen. Aber darauf hat in der Schweiz, abgesehen von der Schweizerischen Stiftung für die Familie, noch kaum jemand aufmerksam gemacht. Im Familienbericht 2017 des Bundes ist es kein Thema. Er fokussiert auf die Unterstützung von Familienorganisationen, Beratungsangebote für Eltern, Armutsbekämpfung, die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit und die „Anpassung des Familien- und Erbrechts an die realen Lebensformen“.
Verkompliziert wird die Unterstützung der Familien in der Schweiz durch die föderale Struktur. Immer wieder weist der Familienbericht des Bundes darauf hin, dass für diese und jene Aufgaben und Leistungen die Kantone zuständig sind. Und diese gehen mit Aufgaben und Aufträgen sehr unterschiedlich um. Wenn es zum Beispiel um Kinderzulagen oder Steuern geht, kann eine Familie einfach Glück oder Pech haben, in einem oder einem andern Kanton (oder Gemeinde) zu wohnen. Zum Beispiel bei den Steuern:
Bei den Steuern
Der Ökonom Albert Steck hat im Auftrag der Migros Bank eine „Steuer-Rangliste für Familien“ zusammengestellt. Er ist davon ausgegangen, dass Steuergerechtigkeit das erklärte Ziel des Bundesgesetzes über die steuerliche Entlastung von Familien und Kindern sei. Denn Kinder seien eine erhebliche finanzielle Zusatzbelastung. Steck verglich die Steuerbelastung für eine Familie mit 80.000 oder 150.000 Franken Bruttoeinkommen in den 26 kantonalen Hauptstädten. Dabei stellte er geradezu groteske Unterschiede fest. Zwar habe das vom Bund 2011 eingeführte Steuergesetz, das Familien entlastete, eine deutliche Wirkung auch auf die Kantone gehabt. Dennoch seien die Unterschiede zum Teil noch grösser geworden. So zahlt eine Einverdiener-Familie mit zwei Kindern und einem Einkommen von 80.000 Franken in Neuenburg (6270 Franken) auch nach 2011 18 Mal so viel Steuern wie in Genf (348 Franken). Mit 150.000 Franken Einkommen zahlt sie in Neuenburg mit 20.597 Franken sechs Mal so viel wie in Zug. An vielen Kantonshauptorten hat die Steuerrevision die Lage für Familien nur minim verbessert. Das zwingt eigentlich die Familien, sich einen günstigen Steuerort auszusuchen, aber gerade Familien sind die am wenigsten mobilen Einwohner, da Umzüge gerade für Kinder oft sehr belastend sind.
Zögerlich bei der Armutsbekämpfung
In der Schweiz leben laut einer Erhebung des EU Statistikamtes Eurostat 2016 253.000 Personen unter 18 Jahren und damit jedes sechste Kind in Armut oder ist von Armut bedroht. Für viele sei dies gleichbedeutend mit sozialer Ausgrenzung. Es bestehe die reale Gefahr, dass Armut diese Menschen während ihres ganzen Lebens bedroht.
Der Familienbericht von 2017 benennt zur Behebung der Kinderarmut Massnahmen wie die Förderung der Erwerbstätigkeit der Eltern oder Steuersenkungen. Die wirksamste Massnahme, nämlich Ergänzungsleistungen für Familien, haben aber einen schweren Stand. Der Familienbericht hält dazu fest:
„Die Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien wurde auf Bundesebene, auf interkantonaler Ebene und auf kantonaler Ebene breit diskutiert. Sämtliche Vorstösse zur Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien auf Bundesebene ... wurden bis anhin abgelehnt. Die SODK (Sozialdirektoren-Konferenz -Red.) hat den Kantonen im Jahr 2010 empfohlen, kantonale Ergänzungsleistungen für Familien einzuführen. Die Einführung dieses Instruments wird in den Berichten der Kantone zwar relativ häufig thematisiert und teilweise auch vertieft geprüft, aber selten umgesetzt. Bislang haben vier Kantone (TI, VD, GE, SO) Ergänzungsleistungen für Familien eingeführt. Aufgrund der dafür erforderlichen finanziellen Mittel stehen Projekte zur Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien häufig in Konkurrenz zum Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung, dem die Kantone vielfach bereits in ihren Berichten Priorität einräumen.“
Auf einen Nenner gebracht, empfiehlt die Schweizer Politik mehrheitlich den armutsgefährdeten Familien, mehr zu arbeiten und zu sparen, statt auf staatliche Hilfe zu hoffen. Schliesslich ist die verbreitete Meinung zur Familie, dass Kinder Privatsache sind. Also soll man sich nicht in die Familie einmischen, auch nicht zu stark finanziell.
Baustelle Krankenkassenprämien
Auch das System KVG (Krankenversicherungsgesetz) bringt Familie zunehmend in finanzielle Probleme. Das liegt nicht nur daran, dass alle Versuche gescheitert sind, (alle) Kinder von den Prämien zu befreien, zuletzt im Jahr 2014 nach einem entsprechenden Vorstoss von Nationalrätin Ruth Humbel, sondern dass oft notwendige und teure Leistungen (Zahnkorrekturen, Brillen u.a.) nicht vom KVG erfasst werden. Umgekehrt steigen die Prämien jedes Jahr und durchschnittlich vier Prozent, ohne dass diese Mehrkosten in den Landesindex des Konsumenten und somit in die Berechnung der Teuerung einfliessen. Statt dass diese somit von Lohnanpassungen ausgeglichen werden, fressen sie jährlich ein grösseres Loch ins Familienbudget. Parallel dazu sparen etliche Kantone bei der Prämienverbilligung, was gerade die finanziell schwächsten Familien zusätzlich belastet.
Baustelle Elternurlaub
Ebenso kämpfen Familienorganisationen – unter ihnen die Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) – in der Schweiz nach wie vor um einen sinnvollen Elternurlaub. Während einige grosse Firmen oder staatliche Institutionen etwas grosszügiger sind, fehlt es nach jahrelangem Ringen immer noch an einem Gesetz, das alle Arbeitgeber verpflichtet. Die Politik ist nach wie vor von der Angst bestimmt, die Wirtschaft mit einer dem Ausland vergleichbaren Elternurlaub weh zu tun. Lieber tut man den Familien – und damit wiederum den Kindern – weh. Bis auf Weiteres haben Väter in der Schweiz laut geltendem Gesetz nach der Geburt gerade mal einen freien Tag. Die Mütter erhielten nach zähem Ringen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub. Ein Elternurlaub, der beiden Eltern Flexibilität beim Bezug ermöglichen würde, ist jedoch nicht in Sicht.