
Die heutigen Jugendlichen gelten als „digital natives“, die sich intuitiv durch die digitale Welt bewegen. Dennoch sind sie „bei Weitem nicht auf alles vorbereitet“, stellt der Präsident der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ), Sami Kanaan, fest. Im kürzlich veröffentlichten Bericht „Aufwachsen im digitalen Zeitalter“ stellt die EKKJ 11 Forderungen auf.
Um die Jugendlichen und Kinder von heute bestmöglich auf die digitale Zukunft vorzubereiten, sind laut dem Bericht fast alle gesellschaftlichen Akteure in der Pflicht: Erziehungsverantwortliche und Bezugspersonen, die ausser- schulische Kinder- und Jugendarbeit, die Schule, die Berufsbildung, die Bildungspolitik, die Forschung, die Wirtschaft und die Politik.
Die neue Bedeutung der Soft Skills
Besonderes Gewicht erhalten dabei die „Soft Skills“, die neben der Entwicklung des Fachwissens eine konstante Basis für die berufliche Laufbahn sein werden. Sarah Genner, Medienpsychologin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), hebt zum Beispiel Kreativität und soziale Kompetenzen hervor.
Sie hat für ihren Aufsatz rund 100 Kompetenzen und „Skills“ sowie 26 Kompetenzmodelle analysiert. Daraus hat sie drei Kompetenzcluster abstrahiert: Selbstkompetenzen, soziale Kompetenzen und analytisches Denken. Zu den sozialen Kompetenzen zählt sie u.a. Kommunikation, Kooperation, Teamfähigkeit, soziale Verantwortung und Empathie. Ebenso wichtig seien für das mobil-flexible Arbeiten Selbstkompetenz und Selbststeuerung.
Alte Tugenden – ganze Menschen
In den 26 Kompetenzmodellen vermisst sie jedoch Grundwerte wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Wertschätzung. Denn fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen müssten zusammenwirken. Diese bauen laut Genner auf 20 Grundwerten auf, die zum Teil altmodisch klingen, wie Geduld, Dankbarkeit, Mässigung, Vergebung, Lebenssinn und Freundlichkeit. Es gelte, so die Medienpsychologin, die Kinder und Jugendlichen als ganze Menschen zu sehen, nicht nur als gute Schüler oder künftige Arbeitskräfte.
Genner gibt zu bedenken, dass die vom Wirtschafts- und Schulsystem wenig beachteten sozialen und persönlichen Kompetenzen vor allem im ausserschulischen Bereich gefördert werden müssten, also durch Eltern, Betreuungs- und Bezugspersonen, aber auch in Vereinen und Jugendgruppen.
Neue Soft Skills
Dass die Bedeutung der „Soft Skills“ zunehmen wird, bestätigt auch Roger Wehrli. Der stellvertretende Leiter des Bereichs allgemeine Wirtschaftspolitik und Bildung bei Economiesuisse, stellt „Fach-, Handlungs-, Selbst- und soziale Kompetenzen“ auf eine Stufe, wenn er von den „Erfolgsfaktoren für den beruflichen Erfolg in der digitalisierten Arbeitswelt“ spricht. Besonders wichtig sind für ihn die Handlungs-, Selbst- und Sozialkompetenzen, also Selbstdisziplin, Durchhaltewillen, Motivation, Teamfähigkeit, kritisches Denken, Urteilsvermögen und Kreativität.
Elf Forderungen
Der Bericht schliesst mit elf Forderungen – angefangen bei den Erziehenden bis hin zur Politik. Sie sollen gemeinsam technische Kompetenzen und Soft Skills bei Kindern und Jugendlichen gleichwertig fördern. Kinder sollen Freiräume erhalten, um Kreativität zu entdecken und Eigenverantwortung zu übernehmen. Er fordert aber auch, Eltern und Erziehende bei ihrer Aufgabe zu unterstützen und dafür Fachpersonen auszubilden.
Eine besondere Herausforderung ortet der Bericht im Umgang mit der ständigen Erreichbarkeit. Nötig dazu seien sowohl das Vorbild der Erziehenden, das gemeinsame Erarbeiten von Regeln zuhause sowie eine Reflexion in den Firmen.
Kommentar: Elternkompetenzen fördern
Der Bericht der EKKJ deutet an, dass ein grosser Teil der Kompetenzen ausserhalb der Schule, besonders auch im Elternhaus angeeignet werden. Darum ist wichtig, dass hier alle Akteure «an einem Strang» ziehen. Die Familie als Lernort sozialer Kompetenzen ist neu in den Fokus der Betrachtung zu stellen. Schätzungen sprechen von einem 70%-Anteil von «informellem Lernen» beim Erwerb von Kompetenzen. Eltern stehen dabei aber vor einer doppelten Herausforderung. Sie sind die wichtigsten Akteure bei der Weitergabe zum Beispiel von Sozialkompetenz. Andererseits sind sie zunehmend stärker gefordert, sich im Erwerbsleben zu engagieren. Wichtig ist daher, dass sie einerseits als Erziehungsverantwortliche unterstützt werden, wie der Bericht anmahnt. Zum andern müssen die Kompetenzen (Soft Skills), die sie sich selbst als Erziehende aneignen, von den Chefs auch anerkannt werden.
Die Schweizerische Stiftung für die Familie wird in diesem Zusammenhang einen eigenen Beitrag leisten, indem sie Eltern befähigt und ermächtigt, bewusst wahrzunehmen, welche Soft Skills in der Familie erworben werden und wie diese gefördert und auch in Anstellungsgesprächen thematisiert werden können. Im Rahmen des Programms «Mehrwert Familie» bietet sie dazu im Herbst ein Seminar be:able an. Das Auftaktseminar findet am 31. Oktober in Bern statt.
Zum Programm be:able
https://workfamily-enrichment.de/forschung/beable
Zum Bericht der EKKJ
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-74471.html
Foto: (c) Brooke Cagle - Unsplash