Fast alle 15- bis 16-jährigen Jugendlichen in der Schweiz waren schon mindestens einmal einem Risiko im Internet ausgesetzt. Dies schreibt der Bundesrat in einer Medienmitteilung. Häufigste Risiken seien sexuelle Darstellungen und gewalthaltige Inhalte, diskriminierende Nachrichten, Kontakt mit Fremden oder die Verletzung der Privatsphäre.
Die neusten Zahlen der Studie “EU Kids Online Schweiz” zeigen, dass Kinder und Jugendliche im Umgang mit digitalen Risiken unterstützt werden müssen, folgert der Bundesrat aus der Studie, die unlängst am vierten Nationalen Fachforum Jugend und Medien vorgestellt wurde. Mit der Studie wurden unter anderem „acht Empfehlungen zur Prävention“ an die Nutzer selbst, ihre Eltern, Lehrpersonen und Kameraden abgegeben. Regulierungen auf Gesetzesebene wurden aber keine gefordert. Und dies, obwohl das Bundesamt für Sozialversicherung BSV schon 2015 einen „Handlungsbedarf im regulierenden Kinder- und Jugendmedienschutz“ festgestellt hat.
Blick zurück auf 2015: Handlungsbedarf ausgewiesen
Das BSV hatte damals festgestellt, der Jugendmedienschutz müsse auf zwei Säulen beruhen. Einerseits müssten „Kinder und Jugendliche sowie deren Erziehungpersonen“ befähigt werden, „kompetent mit den Chancen und Risiken von Medien umzugehen. Andererseits müssten sie mit regulierenden Massnahmen vor Gefährdungen geschützt werden. Zur Realisierung der ersten Säule wurde das Programm „Jugend und Medien“ aufgegleist (www.jugendundmedien.ch).
Zur zweiten Säule: Wer auf dieser Webseite den Menüpunkt „Politik und Recht“ anklickt, erhält eine Dokumentation der zahlreichen parlamentarischen Vorstösse, die einen gesetzlichen Schutz vor negativen Inhalten fordern – und die zum Teil mit juristischen Spitzfindigkeiten vom Bundesrat abgelehnt wurden.
2009: Bundesrat lehnt Verbot von Killerspielen ab
So zum Beispiel eine Motion zum Verbot von brutalen Killerspielen, die vor 10 Jahren Schlagzeilen machten. Die damalige Nationalrätin Evi Allemann bezog sich auf das Killerspiel „Strenglehold: John Woo“, bei dem mit besonders grausamen Waffen gegen Menschen und „menschenähnliche Wesen“ gekämpft wird. Wegen seiner Brutalität wurde es vom Pegi-Rating erst ab 18 Jahren freigegeben. Die Motionärin wies auf eine möglichen Zusammenhang zwischen solchen Machwerken und der Häufung von Massenmorden durch Jugendliche in den USA und Deutschland hin.
Der Bundesrat verwies in seiner Antwort auf Artikel 135 StGB und stellte fest, dass der Gesetzgeber die Messlatte für ein Verbot bewusst hoch angesetzt habe, weil diese Spiele nur in Kombination mit andern Risikofaktoren eine Gefahr darstellten. Er sei zwar der Auffassung, dass der Jugendschutz bei Gewaltdarstellungen verstärkt werden müsse. „Denn nicht alles, was für Erwachsene ohne schädliche Auswirkungen konsumierbar ist, ist auch für Jugendliche geeignet“, schrieb der Bundesrat in seiner Antwort an Evi Allemann. Er prüfe daher im Rahmen der Umsetzung der Postulate Leuthard, Amherd und Galladé, „wie durch gesetzgeberische Massnahmen unerwünschter Medienkonsum verhindert und dessen mögliche schädliche Auswirkungen verhindert werden könnten.“
Gesetzgeber nicht untätig, aber ...
Seither ist vor allem die Sensibilität für Rassismus und Kinderpornografie sowie rassistischen Hetzreden und Gewaltaufrufe gewachsen. Besonders beim Vertrieb von Kinderpornografie im Internet und wegen des Downloads entsprechender Angebote kam es auch zu Verurteilungen. Keine explizite Strafnorm gibt es aber für Delikte wie Cybermobbing. Hier muss zum Beispiel ein Straftatbestand wie Erpressung oder Ehrverletzung vorliegen. Das sorgt gegenwärtig im Fall „Celine“, der Aargauerin, die sich wegen Cybermobbing das Leben genommen hat, für Empörung, weil die Mobberin ungeschoren davonkommt und weiterhin bislang ungestraft Cybermobbing betreibt, wie die Sendung Rundschau von Fernsehen SRF am Mittwoch berichtete.
Geschont werden auch weiterhin Produzenten und Vertreiber von Gewaltdarstellungen, zum Beispiel durch „Killergames“. Zwar ist offiziell laut Art. 197 StGB auch das Anbieten von Pornografie an unter 16-Jährige verboten. Aber mit der Umsetzung dieses Artikels hapert es aber gewaltig, wie die erwähnte Umfrage belegt. Mit 14 Jahren hat jede und jeder zweite Jugendliche in der Schweiz bereits sexuelle Darstellungen gesehen, mehrheitlich unfreiwillig. 45 % der 15- bis 16-Jährigen haben schon Verletzungen der Privatsphäre erlebt, 41 % wurden nach sexuellen Informationen gefragt (Cybergrooming). Und so weiter. Vor der wirksamsten Massnahme, der Blockierung einschlägiger Webseiten, schreckt der Gesetzgeber zurück.