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Mehr Gerechtigkeit für alle

Setzt die Bundespolitik falsche Prioritäten in der Familienpolitik? Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man den Stand der Dinge näher betrachtet. Eine Analyse von Fritz Imhof


Mit dem Gesetzespaket «Ehe für alle» will der Gesetzgeber mehr Gerechtigkeit schaffen - aber gerade das passiert für viele Ehepaare nicht. Das Unvermögen der Politik, längst fällige Ungerechtigkeiten, die durch die Aufhebung des Konkubinatsverbots entstanden sind, zu beseitigen, macht Menschen sauer, die zum Beispiel auch im Alter eine Ehe schliessen wollen. Viele homosexuelle Menschen werden sich deshalb – so wie viele anderen Paare auch - eine Heirat wohl gut überlegen, wenn sie feststellen, welche Nachteile sie, verglichen mit Konkubinatspaaren, bezüglich Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht in Kauf nehmen müssen. Das von der Politik oft vorgebrachte Argument, insgesamt seien Ehepaare nicht benachteiligt, stimmt nur bedingt – und erst im Fall des Todes eines Ehepartners.


Krasse Nachteile für Heiratswillige

Nehmen wir den Fall von Manuel F. und Ursula S. (Namen verändert). Er knapp über dem Pensionsalter und verwitwet, sie noch etliche Jahre vor der Pensionierung und Bezügerin einer Witwenrente. Sie lieben sich und möchten heiraten, weil ihnen die Ehe auch aus Glaubensgründen heilig ist. Die finanziellen Konsequenzen einer Heirat aber sind drastisch: Sie verliert ihre Witwenrenten aus der 1. und 2. Säule und erhält beim Tod ihres zweiten Mannes gerade noch 49% der Witwenrente aus der 2. Säule. Sie unterstehen somit einer faktischen Heiratsstrafe, die nur dann teilweise durch das Erbrecht abgefedert wird, wenn der Partner ein wesentliches Vermögen hinterlässt.


Die Rentendiskriminierung

Trotz den Anstrengungen vor allem der CVP/Die Mitte, die Heiratsstrafe bei den Steuern und der AHV zu beseitigen, sind wir noch nicht weiter gekommen. Aktuell erhalten Ehepaare eine plafonierte Rente von 3'585 anstatt 4'780 Franken, wenn beide die Maximalrente erhalten würden. Differenz 1'195 Franken. Der Vorschlag, wenigstens eine teilweise Reduktion dieser Differenz zu realisieren, droht in der Auseinandersetzung um die grosse Rentenreform zerrieben zu werden. Auch bei der Bundessteuer, die sehr progressiv ausgelegt ist, sind nach wie vor zigtausende Ehepaare gegenüber Konkubinatspaaren mit gleichem Einkommen benachteiligt. Der Kampf zweier politischer Lager um eine Individualsteuer versus Splittinglösung dauert an. Dabei könnte ein Kompromiss darin bestehen, eine Wahlfreiheit zwischen den beiden Optionen zu gewähren.


Mehrere Baustellen

Es gibt noch eine Reihe weiterer Baustellen, die längst angegangen werden müssten und die sich durch die tiefgreifenden familiären Veränderungen ergeben haben. Oft fehlt es dort an Regelungen – zum Nachteil der Schwächeren. Eine weitere Baustelle ist das Erbrecht, das auch nach der Revision nicht wirklich befriedigt, weil nach wie vor nach dem Tod eines Partners Pflichtteile an die Kinder ausbezahlt werden müssen, wenn diese nicht freiwillig darauf verzichten. Bedenklich ist nach einem kürzlich gefällten Bundesgerichtsurteil auch die Lage von Ehepartnerinnen, die sich vor allem in Familien- und Freiwilligenarbeit investiert haben. Denn ihre berufliche Situation kann nach Jahren unbezahlter Care-Arbeit und Einsätzen in Kirche oder karitativen Organisationen prekär sein.


Grossfamilien unterstützen

Besonders aber muss die Politik sich den Sorgen von kinderreichen Familien annehmen, die Eltern vor existenzielle Probleme stellen, weil sie häufig den vollen Einsatz eines Elternteils, zumeist der Mutter, erfordern. So kann nur ein Einkommen generiert werden, weil die heutigen Kinder- und Ausbildungszulagen die hohen Familienkosten längst nicht decken. Die Schweizer Politik hat sich in diesem Bereich nur halbherzig engagiert gemäss dem Motto, dass Familie und vor allem die Zahl der Kinder eigentlich Privatsache sei. Hier ist ein grundsätzliches Umdenken erforderlich, das in der kommenden Debatte zumindest angestossen werden muss.



Frage an unsere Leserinnen und Leser:

Wie erleben Sie die aktuelle Familienpolitik? Wo sehen Sie Defizite oder gar eine Benachteiligung von Paaren und Familien? Ihre Meinung hilft uns, das Thema in den nächsten Monaten im Gespräch mit der Politik zu vertiefen. Gerne erwarten wir Ihre Antwort: info@stiftung-familie.ch


Foto: unsplash.com / Clay Banks


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