Mit dem Tod von Remo H. Largo (24.11.1943 –11.11.2020) hat die Schweiz eine Persönlichkeit verloren, welche die Erziehung und das Schulwesen einer Generation weit über die Schweiz hinaus geprägt hat. Er war auch Ansprechpartner und Autor für die Schweizerische Stiftung für die Familie.
Das Kind, die Eltern und die Schule waren Themen des Kinderarztes und Forschers Remo Largo, der selbst drei Töchter erzog. An ihnen und vielen andern Kindern und Jugendlichen hat er viele Beobachtungen gemacht, die ihn zu seinen Erziehungsbüchern, angefangen mit „Babyjahre“, inspirierte. Diese fanden eine weite Verbreitung, denn sie entlasteten Eltern von der Angst, Fehler in der Erziehung zu machen. Er zeigt darin auf, wie sich jedes Kind individuell entwickelt und dort gefördert sein möchte, wo es sich gerade entwickelt. Er forderte damit jedoch die Schulen heraus, indem er sich auch dort für eine möglichst individuelle Förderung einsetzte.
Recht auf individuelle Entwicklung
In seinem Buch „Das passende Leben“, erschienen im Jahr 2017, fasste er schliesslich seine Erkenntnisse zusammen und postulierte das FIT-Prinzip. Es besagt: Jeder Mensch hat ein einmaliges Puzzle von Kompetenzen. Diese können – je nach Entwicklungsstufe – sehr unterschiedlich sein. Sie machen aber seine Individualität aus. Es gilt, diese Kompetenzen zu leben und sie in der Schule und im Elternhaus zu fördern. Er spricht sich gegen einen „Förderwahn“ aus, der mit viel Aufwand schwächere Fähigkeiten hochfahren will und die Kinder damit plagt. Er stellt fest: „Viele Schüler und Studenten fühlen sich überfordert, fremdbestimmt und gestresst.“ Er fordert daher ihr Recht und dasjenige jedes Menschen ein, sich seine eigenen Vorstellungen vom Leben zu machen und sie auch ausleben zu dürfen. Der Mensch sei zudem ein zutiefst soziales Wesen, das nur in einem verlässlichen Beziehungsnetz existieren könne. Er vertiefte diese Erkenntnis zuletzt im 2020 erschienenen Buch „Zusammen leben. Das Fit-Prinzip für Gemeinschaft, Gesellschaft und Natur.“
Es braucht eine andere Schule
Dass diese Erkenntnisse mit einem Schulsystem kollidieren, das für jedes Kind den gleichen Stoff im gleichen Alter vermittelt und die gleichen Kompetenzen einfordert, versteht sich. Individuelle Förderung fordert die Schule heraus. An einer Fachtagung in München (Wir berichteten darüber in der Zeitschrift der SFF 1/2011) verlangte Remo Largo „die Schule vom Kind her zu denken“. Largo stellte fest: „Kinder leben im 21. mit Eltern aus dem 20. Jahrhundert, und das Schulsystem stammt aus dem 19. Jahrhundert.“ Seine Forderung lautet: „Die Anpassungen des Bildungswesens können uns nur gelingen, wenn die sozioemotionalen Bedürfnisse der Schüler ausreichend befriedigt werden und die Individualisierung des Unterrichts umgesetzt wird. Er ist sich dabei bewusst: „Eine zeitgemässe und kindgerechte Schule zu schaffen, stellt eine der grossen pädagogischen, politischen und gesundheitsmedizinischen Herausforderungen der Gesellschaft dar.“
Ein grosser Pädagoge und Mensch

Remo Largo hat somit einerseits Eltern entlastet, indem er sie davon befreite, sie in ein Schema zu pressen. Die Schule hat er aber massiv herausgefordert. Spuren davon finden sich im Lehrplan 21, der aber zwingend wiederum einen Raster kreiert hat, der nicht allen Kindern gerecht werden kann. Mit der Forderung jedoch, dass jeder Mensch ein Recht auf seine individuelle Entwicklung hat, um sein „passendes Leben“ (im angelsächsischen Raum ist der Begriff „flourishing life“ populär geworden) zu leben, hat er sich in die Reihen der grossen Pädagogen und Psychologen begeben, der immer ein offenes Ohr für Menschen hatte, die seinen Rat suchten.
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