Teilzeit zu arbeiten, liegt in der Schweiz heute im Trend. Im Jahr 2022 waren laut Bundesamt für Statistik 37 Prozent der Erwerbstätigen in einem Teilzeitpensum beschäftigt – bei den Frauen waren es 58 Prozent, bei den Männern rund 19 Prozent, Der Fachkräftemangel führt vor allem zur Forderung an die Mütter, ihr Pensum zu erhöhen.
Laut einer Umfrage im Auftrag der Initiative „geschlechtergerechter.ch“ findet zwar eine Mehrheit, dass Schweizerinnen und Schweizer mehr arbeiten sollten. Dennoch wünschen sich noch mehr, dass sie weniger arbeiten müssten. Dies bringt ein beträchtliches Spannungsfeld zum Ausdruck, das gerade auch im Familienkontext bedeutsam ist. Was ebenfalls erstaunt: entgegen der politischen Forderung, dass gerade Mütter mehr arbeiten sollten, sieht die Mehrheit der Befragten dies ganz anders. Wir haben die wichtigsten Ergebnisse für Sie zusammengefasst.
Die wichtigsten Ergebnisse
Der grosse Widerspruch: 56 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sind der Meinung, dass wir aufgrund der Alterung der Gesellschaft und des Fachkräftemangels eigentlich mehr arbeiten müssten. Gleichzeitig finden jedoch 68 Prozent der Befragten, dass wir in der Schweiz ganz grundsätzlich zu viel arbeiten. Dieser zentrale Widerspruch prägt die Wahrnehmung der Erwerbsarbeit. Es kommt darin ein Spannungsfeld zwischen ökonomischer Einsicht («eigentlich müssten wir mehr arbeiten») und lebensweltlicher Erfahrung («wir ordnen in der Schweiz der Arbeit zu viel unter») zum Ausdruck. Dieser nicht auflösbare Gegensatz führt zu teilweise paradoxen Einschätzungen und Urteilen. Generell nehmen Frauen häufiger die lebensweltliche Sicht ein und finden, es werde zu viel gearbeitet, während bei Männern die ökonomische Sichtweise mehr Gewicht hat. Besonders ausgeprägt ist das Spannungsfeld bei jungen Erwachsenen. Diese sind besonders häufig der Ansicht, wir müssten eigentlich mehr arbeiten und finden zugleich besonders oft, es werde in der Schweiz zu viel gearbeitet.
Die Studie fragte auch, wie man arbeiten würde, hätte man finanziell ausgesorgt: Rund drei Tage in der Woche würden die Befragten im Erwerbsalter dann noch arbeiten. Entgegen dem Vorurteil sind es dabei nicht die jungen Erwachsenen, die ihr Pensum am meisten reduzieren würden, sondern eher die älteren. Geht es nach Parteiorientierung sind es nicht, wie man vielleicht erwarten würde, die Befragten aus dem linken Spektrum, die ihre Arbeitszeit am meisten reduzieren würden. Wenn sie finanziell ausgesorgt hätten, würde die Basis der SVP mit einem Pensum von 56 Prozent am wenigsten arbeiten. Offenbar arbeiten viele Personen, die der SVP nahestehen, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen.
Arbeitskräftemangel – Mütter nicht im Fokus
Wenn es darum geht, welche demographische Gruppe einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel leisten sollte, sehen die Befragten an erster Stelle kinderlose Personen, die Teilzeit arbeiten, in der Pflicht. 46 Prozent sind der Ansicht, dass diese Gruppe mehr arbeiten sollten. Am wenigsten häufig (31%) in die Pflicht genommen werden Teilzeitmütter. Dies ist bemerkenswert, denn die aktuelle politische Debatte fokussiert sich vor allem auf die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung der Mütter.
Teilzeitarbeit ist weiblich konnotiert: Eine klare Mehrheit (62 %) der Frauen erachtet Teilzeitarbeit als etwas typisch Weibliches. Demgegenüber machen nur 32 Prozent der Männer diese Assoziation. Die Vorstellung von Teilzeitarbeit als etwas Weibliches ist also nicht primär eine Fremdzuschreibung durch die Männer, sondern wird ganz wesentlich durch die Frauen geprägt. Diese kognitive Prägung bei den Frauen selbst kann dazu beitragen, dass Frauen oftmals ihr Pensum nicht erhöhen, auch wenn die Kinder grösser werden.
Familie und Erwerbsmodelle – das 50-80-Ideal
Aus Sicht der Schweizer Bevölkerung liegt das ideale Erwerbsmodell für Eltern von Kleinkindern bei 80 Prozent für den Vater und 50 Prozent für die Mutter. Dieses Ideal gilt gleichermassen für Eltern von Kindern im schulpflichtigen Alter. Die Schweizer Bevölkerung ist der Ansicht, dass Mütter langfristig nur mit einem Bein im Arbeitsleben stehen sollten. Frauen selbst erachten 60 Prozent als die ideale Erwerbsbeteiligung für Mütter mit Kindern im schulpflichtigen Alter. Interessant ist: je jünger die Befragten, desto egalitärer sind ihre Idealvorstellungen, wenn es um die Aufteilung der Erwerbsarbeit geht. Besonders bedeutsam für die Einschätzung der Erwerbsmodelle sind dabei Bildungsabschlüsse. Personen mit Hochschulabschluss erachten eine deutlich höhere Erwerbsbeteiligung von Müttern als erstrebenswert. Dies gleicht die tiefer angestrebte Erwerbsbeteiligung der Väter mehr als nur aus.
Gelebte Erwerbsmodelle: In Realität arbeiten die Mütter von betreuungspflichtigen Kindern im Durchschnitt 55 Prozent, die Väter 91 Prozent. Das heisst, dass insbesondere die Väter vom 80-Prozent-Ideal abweichen und mehr arbeiten. Von grosser Tragweite ist, dass sich dieses Erwerbsmodell auch bei Eltern von erwachsenen Kindern durchsetzt. Ist die Ungleichheit in der Erwerbsbeteiligung zwischen Vätern und Müttern etabliert, bleibt diese meist bestehen, auch wenn die Kinder längst ausgeflogen sind. Nicht nur im angestrebten Ideal, sondern auch in der Erwerbsrealität ist der Arbeitseinsatz von Eltern mit betreuungspflichtigen Kindern und Hochschulabschluss insgesamt am grössten und ausgeglichensten. Entgegen den gängigen Vorurteilen arbeiten Paare und Eltern, die linken Parteien nahestehen, insgesamt nicht weniger als solche, die der SVP nahestehen. Allerdings ist bei Eltern von betreuungspflichtigen Kindern der Unterschied in der Erwerbsbeteiligung von Vätern und Mütter im rechten Spektrum deutlich grösser.
Eltern müssen sich rechtfertigen
Es sind insbesondere Eltern von betreuungspflichtigen Kindern, die angeben, dass sie sich für ihr Erwerbspensum rechtfertigen müssen – Mütter mehr noch als Väter. Dies zeigt deutlich, dass die Erwerbssituation von Personen ohne Kinder viel eher als individueller Entscheid und als Privatsache angesehen wird als die Erwerbssituation von Eltern bzw. von Familien. Sobald Kinder dazukommen, entstehen Erwartungen durch das Umfeld und die Öffentlichkeit. Generell gilt: Männer müssen sich eher rechtfertigen, wenn sie weniger arbeiten, und Frauen, wenn sie mehr arbeiten.
Wenn sich Mehrarbeit nicht lohnt
Der Wunsch nach Freizeit ist der wichtigste Grund, nicht mehr zu arbeiten. Doch neben der persönlichen Prioritätensetzung spielen auch Restriktionen für den Verzicht auf höhere Pensen eine Rolle. 14 Prozent der Mütter und 16 Prozent der Väter, die nicht Vollzeit arbeiten, stocken nicht auf, weil es sich finanziell nicht lohnt. 17 Prozent der Teilzeit-Mütter und Hausfrauen mit betreuungspflichtigen Kindern geben an, dass sie nicht mehr arbeiten, weil es an Betreuungsmöglichkeiten fehlt. Bei den Vätern in derselben Situation sind es 12 Prozent. Attraktivere steuerliche Rahmenbedingungen und bessere Betreuungsmöglichkeiten würden somit nicht nur die Erwerbsintegration von Eltern mit kleinen Kindern verbessern, sondern mittelfristig auch die Erwerbsintegration der Eltern von erwachsenen Kindern.
Politische Massnahmen
Gewünscht wird laut der Umfrage beides: Kitaplatz und Herdprämie. Eine deutliche Mehrheit der Befragten, 58 Prozent, ist der Ansicht, dass alle Kinder ab 3 Monaten einen gesetzlich zugesicherten Betreuungsplatz erhalten sollten. Daraus darf allerdings nicht abgeleitet werden, dass die Schweizer Bevölkerung sich konsequent für Massnahmen ausspricht, die zu einer vermehrten Erwerbstätigkeit von Eltern beitragen. Noch mehr Befragte (64 %) sind der Ansicht, dass Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen, dafür finanziell entschädigt werden sollten. Sie unterstützen also auch Massnahmen, welche es für Mütter attraktiver machen, nicht erwerbstätig zu sein. Die Bevölkerung spricht sich für die Unterstützung von Familien aus, unabhängig von der Wirkung auf die Erwerbsbeteiligung.
Die Befragten sind allerdings auch der Ansicht, dass der grössere Teil (64 %) der Kosten für die externe Kinderbetreuung von den Eltern übernommen werden soll. Die Basis der linken Parteien (Grüne und SP) will zwar mehr staatliche Unterstützung, jedoch nicht mehr als eine 50-50-Kostenteilung zwischen Eltern und Staat.
Im Grundsatz für die Individualbesteuerung
Die Einführung einer Individualbesteuerung wird von 70 Prozent tendenziell begrüsst. Sie würde dazu führen, dass Paare mit ausgeglichenen Einkommen besser gestellt werden im Vergleich zu Paaren mit nur einem Haupteinkommen. Doch während 47 Prozent eine steuerliche Entlastung der Zweiteinkommen klar befürworten, sagen nur 32 Prozent klar Ja zur Individualbesteuerung, die Ehepaare mit einem klaren Haupteinkommen zusätzlich belasten würde. Die Konkretisierung des Anliegens führt zu Vorbehalten. Obwohl die aktuell hängige Volksinitiative zur Einführung einer Individualbesteuerung von den FDP-Frauen lanciert wurde, ist deren Ablehnung ausgerechnet bei der FDP-Anhängerschaft am grössten. Die deutlichste Zustimmung besteht bei der Basis der SP, kennt sie doch heute die egalitärste Aufteilung der Erwerbseinkommen. Sie würde, ohne Veränderung der Erwerbsbeteiligung, am meisten von einer Individualbesteuerung profitieren.
Populäre Viertagewoche
Als Massnahme gegen den Fachkräftemangel und für mehr Gleichberechtigung hat Island die gesetzliche Arbeitswoche auf vier Tage verkürzt. Andere Länder wie Spanien evaluieren eine solche Massnahme. Diese soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und damit insbesondere die Erwerbsintegration von Müttern erhöhen. Auch in der Schweiz wird über die Viertagewoche diskutiert. Sie findet in der Bevölkerung breite Unterstützung. Zwei Drittel der Befragten begrüssen eine Viertagewoche eher oder klar.