Der deutsche Soziologe Martin Schröder vertritt in einem neuen Buch die These: «Die Frauenbewegung hatte einst zum Ziel, dass jede Frau so leben soll, wie sie will. Inzwischen dominiert ein Opferfeminismus.» Ist die ständige Forderung nach mehr Gleichstellung ein zentrales Anliegen der Frauen?
Grundlage für die zugespitzte These sind umfassende Studien und Recherchen, die Schröder weltweit durchgeführt hat. Sie stellen die von Meinungsführerinnen und Medien permanent vertretenen Forderungen in Frage.
Die Erweiterung von Schröders These lautet: „Die Frauenbewegung hatte einst zum Ziel, dass jede Frau so leben soll, wie sie will. Inzwischen dominiert ein Opferfeminismus, der moralisch aufgeladen ist und etwas Bevormundendes hat. Es ist ein illiberaler Feminismus, der anderen vorschreibt, wie sie zu leben haben.“ Einer Frau, die sich nicht benachteiligt fühle, sei etwas entgangen, werde dabei gemutmasst.
Schröder stellt auch die ständig postulierte 50:50 Prozent aufgeteilte Familien- und Hausarbeit in Frage. Im Blick auf das berufliche Engagement stellte Schröder fest, dass Männer im Vergleich zu Frauen zufriedener seien, wenn sie mehr im Beruf arbeiteten. Dabei gebe es zwischen kinderlosen Männern und Frauen keinen grossen Unterschied, zwischen Vätern und Müttern hingegen schon. Die Lebenszufriedenheit von Frauen mit Kindern hänge dabei nicht von Erwerbspensum ab. Ihnen stünden mehr Rollenmöglichkeiten offen. Sie können sowohl auswärts arbeiten als sich auch mehr um ihre Kinder kümmern. Männern stehe vor allem die Rolle des Ernährers offen.
Seine Studienergebnisse zeigen auch, dass nur jede vierte Frau will, dass sich ihr Mann mehr um die Kinder kümmert. Er stellt das fest und fordert dennoch bessere ausserfamiliäre Kinderbetreuung. Wichtig bleibe aber, dass jede Mutter ihre freie Entscheidung treffen könne.
Er stellte im weiteren fest, dass sich dort, wo sich Frauen frei entscheiden können, diese verstärkt die typischen Frauenberufe wählen, wo sie vor allem im Kontakt mit Menschen sein können. Er stellt diese Tendenz in unterschiedlichen Ländern und Kulturen auf allen Kontinenten fest, wo Frauen sich frei entscheden können. Umgekehrt studierten Frauen am häufigsten MINT-Fächer wie Mathematik, Ingenieurwissenschaften oder Naturwissenschaften in Ländern, in denen die Gleichberechtigung am geringsten ist, etwa in Algerien, der Türkei oder Saudiarabien.
Er schliesst daraus: Frauen wollen gleichberechtigt sein, aber nicht unbedingt Gleichstellung haben. Es gebe einen Druck, dass Frauen sich Schwestern sein sollten. Wer die Benachteiligung von Frauen infrage stelle, gelte als unsolidarisch. Schröder spricht von einer lauten Minderheit, welche die Mehrheit zum Schweigen gebracht habe.
Die DRS1-Sendung „Echo der Zeit“ hat ein Interview mit Martin Schröder geführt, dass hier nachgehört werden kann: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/frauen-geht-es-besser-als-viele-meinen?partId=12363601
Martin Schröder (42) ist Professor für Soziologie an der Universität des Saarlandes. Er hat am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln promoviert und an der Harvard University studiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind soziale Ungleichheit, Gerechtigkeitsvorstellungen und empirische Genderforschung. Sein neues Buch basiert auf einer Langzeitstudie mit über 700 000 Befragten. Martin Schröder: Wann sind Frauen wirklich zufrieden? C.-Bertelsmann-Verlag, München 2023. 256 S., Fr. 27.90.
