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Wettbewerbsvorteil durch Corona – wie Eltern profitieren

Ein Blick auf die positive Seite der Schnittstelle Arbeit - Familie

Raus aus der Komfortzone – das erlebt jeder in der Corona-Krise, besonders jedoch Eltern mit Kindern im Haushalt. Sie stossen aktuell häufig an ihre Grenzen und müssen neue Lösungen finden. Wem das gelingt, der entwickelt neue Fähigkeiten, «Skills», wie Selbstkompetenz oder Sozialkompetenz. Eltern lernen nebenbei, wofür Unternehmen tausende Franken in Weiterbildungsprogramme stecken.

Die Schweizerische Stiftung für die Familie bietet in Zusammenarbeit mit dem WorkFamily-Institut (D-Ober-Ramstadt) ein eigens dafür entwickeltes Seminar an, in dem Eltern lernen, genau diese Kompetenzen zu erkennen, zu benennen und auf den Arbeitskontext zu übertragen.

Pflichtbewusstsein ist ein gutes Beispiel. Mütter und Väter trainieren es permanent. Die Kinder nehmen uns in die Pflicht, der Partner oder die Partnerin ebenso; und als ob das nicht reichen würde - natürlich auch der Arbeitgeber. Und zuletzt meldete sich in der Krise noch der Staat, der hunderttausende Väter und Mütter an ihre Pflichten als Eltern erinnerte. Im Lockdown stand deshalb nicht mehr die Frage nach einer Steigerung der Erwerbsquote und der Ausbau des Betreuungsangebotes auf der politischen Agenda. Vielmehr war jetzt Krisenmanagement angesagt, und dieses beorderte die Eltern nach Hause, um die eigenen Kinder zu betreuen und zu beschulen.

Eine enorme Belastungsprobe, wie die vom Eidgenössischen Gleichstellungsbüro in Auftrag gegebene «Sotomo-Studie» feststellt. Im April 2020 befanden Väter und Mütter gleichermassen, dass sich diese Situation belastend auf sie auswirkte (gut 50%), während es im Juni nur noch knapp 40 Prozent so empfanden. Der positive Effekt dabei: die Eltern haben die Familie und Partnerschaft mehrheitlich als gestärkt erlebt, wobei dieser Effekt mit der Lockerung der Massnahmen ebenfalls wieder rückläufig war.

Die Studie zeigt auch, dass sich der Lockdown auf Männer und Frauen unterschiedlich ausgewirkt hat, wenn auch die Belastung von beiden Geschlechtern stark empfunden wurde. Warum das so ist? Nun, Männer können bekanntlich ihr Arbeitspensum meistens nicht reduzieren, dafür aber die Frau. Zumindest ist das ein fester Glaubenssatz bei der Mehrheit der Bevölkerung, was sich im Ergebnis der Studie wiederspiegelt. Zwar haben auch Väter ihre Arbeitszeit reduziert, aber im Schnitt nur etwa halb so häufig wie die Mütter.

Doch was bedeutet das für den Kompetenzerwerb? Mütter sind deutlich flexibler und haben die Fähigkeit, sich auf ständig ändernde Gegebenheiten einzurichten. Diese Fähigkeit erleben sie allerdings durchschnittlich als belastender als die Väter, dennoch sind sie zumeist im Stande, die Belastungen auszuhalten und lernen, mit ihnen umzugehen. «Geht nicht» gibt´s bei Frauen weniger oft. Frauen trainieren so permanent, Lösungen zu finden und Entscheidungen zu treffen, auch und besonders in extremen Belastungssituationen. Väter haben hier Nachholbedarf.

Enrichment statt Balance

Dabei bietet der – inzwischen sehr gut erforschte – Denkansatz des «Work-Family Enrichment» eine grosse Chance sowohl für Männer wie auch Frauen. Doch sie wird – und auch das zeigt die Forschung – noch viel zu selten erkannt und genutzt.

Doch was meint Work-Family Enrichment? Die Kerndefinition geht auf die Pioniere Jeffery Greenhause und Gray Powell zurück, die mit ihrer Veröffentlichung 2006 «When work and family are allies: A theory of work-family enrichment» ein neues Mindset zu prägen begannen. «Wir definieren work-family enrichment als den Umfang, in dem die Erfahrungen in einer Rolle die Lebensqualität in der anderen Rolle verbessern[i]».

Der Ansatz ist also nicht die «never-ending Story» davon, alles unter einen Hut zu bekommen («Balance»), sondern vielmehr, Familie und Beruf als zwei sich ergänzende und bereichernde Systeme zu erfahren. Dabei geht es nicht um das abgegriffene «Multitasking», sondern um den Erwerb eines umfassenden Kompetenzkatalogs, den Mütter und Väter in ihrer Familienverantwortung erwerben. Sozial-, Selbst- und Handlungskompetenzen, die übrigens in den Kompetenzbedarfsstudien der grossen Personalagenturen für die Zukunft ganz zuoberst stehen: Wie führe ich auf Augenhöhe? Wie leite ich ein interkulturelles und interdisziplinäres Team – dazu noch mit flachen Hierarchien? Wie bereiten wir Führungskräfte auf den Wandel in immer flexibler werdende Arbeitswelten vor? In aufwendigen Managementseminaren?

Nein, denn das wäre zu teuer und häufig zu weit von Realbedingungen entfernt. Informelle Lernorte eignen sich dazu viel besser, zumal Erwachsene bis zu 90 Prozent ihrer Fähigkeiten informell erlernen oder trainieren. Der ideale Ort dafür ist die Familie. Denn wie eingangs erwähnt, sind Eltern hier sowieso schon in die Pflicht genommen, und das häufig unter Extrembedingungen. Die Corona-Krise hat diesen Effekt sogar verstärkt – offensichtlich noch etwas mehr bei Frauen als bei Männern. Die Schnittstelle Familie-Beruf hat in den letzten Monaten vor allem eines gezeigt: Sie funktioniert! Sie ist verlässlich, auch unter extremsten Bedingungen. Die zum Teil notwendige Arbeitsreduktion der Eltern sollte daher nicht negativ konnotiert werden, sondern positiv, denn sie ist letztlich ein Kompetenzgewinn für die Unternehmen.

Eltern lernen informell

Die SBB hat soeben in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich eine Studie veröffentlicht, in welcher der «Wert von Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteigern für die Wirtschaft» gemessen wurde. Das Papier zeugt von einem Selbstbewusstsein der Eltern, die zu über 80 Prozent sagen, dass ihr Arbeitgeber vom Wiedereinstieg profitiert. Knapp 90 Prozent sogar, dass sie sich in der Pause persönlich weiterentwickelt hätten. Über 60 Prozent sind überzeugt, dass sie durch ihre Mutter- oder Vaterrolle Fähigkeiten erwerben, die ihnen bei der Arbeit helfen. Das Ergebnis hat bei den Personalverantwortlichen der SBB dermassen eingeschlagen, dass sie umgehend eine Einstellungskampagne für genau diese Zielgruppe lancierten. Mit bisher beachtlichem Erfolg.

Wie jedoch können diese informell erworbenen Kompetenzen erkannt und auf die Erwerbstätigkeit übertragen werden? Die Schweizerische Stiftung für die Familie bietet in Zusammenarbeit mit dem WorkFamily-Institut (D-Ober-Ramstadt) ein eigens dafür entwickeltes Seminar an, in dem Eltern lernen, genau diese Kompetenzen zu erkennen, zu benennen und auf den Arbeitskontext zu übertragen. Zum Einsatz kommt dabei auch eine speziell dazu programmierte App mit einem umfassenden Kompetenzenkatalog. Der vom WorkFamily-Institut entwickelte Ansatz wird dabei wissenschaftlich evaluiert, u.a. in Zusammenarbeit mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Zurück zum Lockdown und Corona. Sicherlich haben wir alle wichtige Erkenntnisse aus der aktuellen Situation gezogen. Am meisten jedoch die Eltern. Work-Family Enrichment und informelles Lernen zeigen uns, dass Eltern mit einem Wettbewerbsvorteil aus der Krise herauskommen. Die Mütter sogar etwas stärker als die Väter. Es scheint so langsam in den Köpfen der Führungsetagen anzukommen, dass Eltern Gold wert, um nicht zu sagen Geld wert, für das Unternehmen sind.

[i] Greenhause Jeffery &Powell Gary in Academy of Management Review 2006, Vol. 31, No. 1, 72–92.

Bild: (c) Leonhard Beck, unsplash

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